Sophie Jung: The bigger Sleep

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4. Januar 2019
Text: Dietrich Roeschmann

Sophie Jung: The bigger Sleep.
Kunstmuseum Basel Gegenwart, St. Alban-Rheinweg 60, Basel.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 3. Februar 2019.
www.kunstmuseumbasel.ch

Irgendwo in der Ferne pfeift jemand „Glory Glory Hallelujah”. Ganz leise, wieder und wieder, und immer nur diese erste Zeile. Im Film noir der späten 1950er Jahre könnte man sich dazu Gert Fröbe als Kinderschänder oder Massenmörder vorstellen, mit schauriger Corporate Melody auf den Lippen. Im Kunstmuseum Basel pfeift das Lied aus versteckten Lautsprechern und liefert den Soundtrack zur Ausstellung „The Bigger Sleep” der diesjährigen Manor Kunstpreis-Trägerin Sophie Jung (*1982). Auch hier liegt Horror in der Luft, oder vielleicht ist es nur eine ungute Ahnung, während man zwischen frisch geputzten Kinderschuhen, kleinen Plüschkatzen, Jeansflickensortimenten auf Futonmatratzen und einer fleischfarbenen Chaiselongue herumspaziert, in dessen Polsterritzen jemand eine Schmuckborte aus belgischen Bierdeckeln gesteckt hat. Das Gefühl, hier weich und wacklig wie durch einen Traum zu schlendern, ohne zu wissen, wohin der surreale Plot einen führt, ist kein Zufall. Sophie Jung hat den gesamten Boden des achteckigen Ausstellungssaals im Erdgeschoss mit Spiegelfolie ausgeklebt, so dass man meinen könnte, die Dinge um einen herum würden im Wasser dümpeln, über das man selbst mit ungläubigem Staunen balanciert und dabei ständig das Gleichgewicht zu verlieren droht. 

Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf Raymond Chandlers legendären Krimi „The Big Sleep” von 1939, der 1946 von Howard Hawks mit Humphrey Bogart und Lauren Bacall verfilmt wurde und im düsteren Kammerspiel das Drama einer spätmodernen Gesellschaft ohne Hoffnung und Zukunft zeigte. Die Referenz kommt nicht von ungefähr. Es geht Jung um das stille Abdriften in eine vage, schwer lokalisierbare Depression, die auch die gegenwärtigen Gesellschaften erfasst hat, forciert von unkontrollierbaren Effekten der Globalisierung und des Klimawandels, der Digitalisierung und der wachsenden Ungleichheit in der Welt. So rätselhaft und disparat sich „The Bigger Sleep” als schillerndes Ensemble aus Hausrat, Plastikschrott, Büchern und Fundstücken wie einem Draht-Rehkitz oder dem geschnitzten Kopfende eines Bettes gibt – durchsetzt übrigens mit bemerkenswerten Arbeiten von Germaine Hoffmann (*1930) und Regula Hügli (*1936), zwei befreundeten Künstlerinnen aus einer anderen Generation –, so präzise kreist Jung hier ein Gefühl der Überforderung ein, aus dem sie in nicht weniger kryptischen Performances eine Poesie der Veränderung entwickelt. Oft stolpern ihr die Silben dabei scheinbar ungeplant aus dem Mund, als wüssten sie nicht, wo es lang gehen soll – bis sich die Worte nach und nach zu atemlosen Monologen sortieren gegen das Patriarchat, Nationalismus oder den Horror der Homogenität.