The Humans.
Kunstmuseum St. Gallen, Museumstr. 32, St. Gallen.
Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 17. März 2019.
Es ist ein schöner Treppenwitz, dass die „The Humans“ betitelte Ausstellung in jenem Teil im Kunstmuseum St. Gallen gezeigt wird, der früher der Natur gewidmet war. Und wirklich sollte einem am Menschen nichts fremd sein, das Befremden kommt schon schnell genug. Gleich einen ganzen Flügel nimmt Candice Breitz‘ Arbeit „TLDR“ ein, die bereits auf der diesjährigen Art Unlimited gezeigt wurde und die hier die Ruhe bekommt, die sie verdient. „TLDR“ steht für „too long didn’t read“ und damit für eine weit verbreitete Haltung, komplexe Sachverhalte zu ignorieren. Nun macht die Südafrikanerin vieles, um unsere Aufmerksamkeit zu fesseln. Da wäre zum einen ihr Thema: Sex, genauer Prostitution. Zum anderen überführt Breitz (1972) ihre Auseinandersetzung mit Sexarbeit in Kapstadt in ein Theaterspiel in Post-Brechtscher-Manier. Ein zwölfjähriger Lockenkopf führt mit sehr viel Charisma durch das einstündige Video, in dessen Verlauf zehn Sexarbeiterinnen in orangefarbener Kleidung Agitationsschilder in die Kamera halten, tanzen und ihre Stimme erheben. Breitz‘ verarbeitet in ihrem Werk den konkreten Fall, dass 2015 das Vorhaben von Amnesty International Sexarbeit zu entkriminalisieren durch einen eher gut gemeinten Vorstoß von Hollywood-Feministinnen gestoppt wurde. – Dem Paradox zu instrumentalisieren, entgeht dann auch Breitz nicht ganz. Zehn Interviews, die die Aktivist*innen in ihrer Alltagskleidung und in Großaufnahme zeigen, differenzieren den Blick auf deren Arbeitsalltag. Da berichtet ein Transmann von erniedrigenden und gefährlichen Situationen im Gefängnis, eine Frau von ihrem älteren Gönner, eine andere, wie sie junge Männer in die körperliche Liebe einführt. Man kann aus dem Gesagten Argumente für die eine oder andere Haltung finden, doch die Aktivistinnen bekommen ihre Kameraminuten.
„The Humans“ gehört zu jenen Ausstellungen, die derzeit statt Meinungen eine klarere Denkweise einfordern. Eine Arbeit von Ed Atkins (*1982) und Simon Thompson (*1974) demonstriert gegen was sich die Schau wendet. „Sky News Live“ projiziert eine ununterbrochene Kakophonie von Meldungen des gleichnamigen englischen 24 Stunden-Newsportals. Jürgen Klopp kommentiert in Großbild das Spiel seiner Mannschaft, im Newsticker werden die letzten Ergebnisse eines Ringerwettbewerbs eingespielt und irgendwo werden die neuesten Wirtschaftsnachrichten eingeblendet. Was Informiertheit vorschürzt, wirkt im Kontext des Ausstellungsraumes wie ein groß angelegtes Ablenkungsmanöver. Aber vielleicht ist auch dies nur eine Projektion – die Schau jedoch reagiert gegen den Newsfluss mit einer konzentrierten Zahl an Werken.
Ihre Urheber gehen mit ihrer Zeitgenossenschaft auf unterschiedliche Weise um. Daniela Ortiz (*1985) setzt sich in ihrer Videoarbeit „FDTD Forcible Drugging to Deport“ Psychopharmaka aus, die in den USA Menschen unter Zwang injiziert werden, die illegal die Grenze passiert haben und ausgeschafft werden. Ortiz liest zu Beginn ihres fünfminütigen Videos amerikanische Deportationsberichte vor. Nachdem ihr das Mittel gespritzt wurde, wird sie immer langsamer und ist vor lauter Lachen kaum mehr zu verstehen. Nicht alle der beteiligten Künstlerinnen und Künstler klagen derart vorherrschende Missstände an. Rossella Biscottis Weg ist indirekter und poetischer. Ihre Arbeit „The Journey“, die von 2016 bis 2017 entstand, geht der Route nach, die ein Marmorblock nahm, den sie 2010 als Kunstpreis gewann. Er ist aus jenem Steinbruch, aus dem auch Michelangelo seinen Marmor bezog. Biscottis Installation beinhaltet gleichermaßen die mathematische Gleichung, mit der berechnet werden kann, mit welcher Geschwindigkeit dieser Block auf den Meeresgrund sinkt als auch blaugrundige Seekarten, auf denen Tiefen und Rohstoffvorkommen dokumentiert sind. Auf einer anderen sind Schiffe eingezeichnet, die Flüchtlinge aufgenommen haben, irgendwo ist die Insel Lampedusa kartografiert. Alles ist durch eine gelbe horizontale Linie miteinander verbunden. Man kommt nicht umhin, diesen Stein, aber auch die Flüchtlingsfrage als Erbe Europas zu verstehen. Menschlich jedenfalls scheint beides: das Scheitern an Ansprüchen der Humanität und das Bestehen auf diesen.