Konstruktion der Welt: Wenn die unsichtbare Hand Bilder malt

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3. Oktober 2018
Text: Christian Hillengaß

Konstruktion der Welt: Kunst und Ökonomie – 1919-1939 und 2008-2018.
Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4, Mannheim.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 3. Februar 2019.

www.kuma.art

Zur Ausstellung ist eine Publikation erschienen:
Kerber Verlag, Bielefeld 2018, 400 S., 68 Euro / ca. 86.90 Franken.

Erlöst, auch ein wenig verwundert, steht da eine junge Frau im hellen Kleid und blickt zurück auf eine knochenharte Vergangenheit. Alexander Deinekas Gemälde „Bau neuer Werkhallen“ führt von einer Konstruktionszeichnung am rechten Bildrand über die Darstellung harter Arbeit hin zu der jungen Dame, die eine leuchtende Zukunft verkörpert. Die Erschaffung einer heilen Welt ist machbar, verkündet das 1926 entstandene Werk in feinster Manier des sowjetischen Realismus. Es ist das Titelmotiv der aktuellen Ausstellung „Konstruktion der Welt. Kunst und Ökonomie“ in der Kunsthalle Mannheim. Mit Fokus auf die Jahre 1919 bis 1939 und 2008 bis 2018 zeigt sie, wie seismografisch Kunst auf ökonomische Großwetterlagen reagiert und eröffnet gleichzeitig ein Panorama wirtschaftlich-sozialer Zusammenhänge der letzten hundert Jahre. Es beginnt mit einer eindrücklichen Reise in die Zeit zwischen den Weltkriegen, hinein in die pulsierende Welt Großstädte.

Ob diese als glänzende Metropolen oder traurige Moloche wahrgenommen werden, hängt davon ab, welchem Künstler man sich gerade widmet. Da wanken zum Beispiel Juri Pimenows gespenstische Kriegsinvaliden, Karl Hubbuchs Lithografien lassen irre Räusche und menschliche Schattenseiten aufflackern und Otto Dix „Streichholzhändler” sitzt hilflos in der Gosse. Oskar Nerlinger feiert dagegen die moderne Stadt mit Funkturm und Hochbahn durch saubere Linien und grafisch eleganten Schwung, wie es auch Berenice Abbotts Fotografien von den Konstruktionen der neuen Hochbauten tun. Geradezu wie Ingenieure konstruieren sie ihre Bilder – so, als bauten sie mit, an der schönen neuen Welt. Tatsächlich werden die Künstler oftmals Werkzeug staatlicher und ökonomischer Absichten, die sie mit ihren Werken propagandistisch unterstützen. Elektrifizierung und Staudammprojekte, Mechanisierung und Agrarintensivierung stehen auf den ökonomische Masterplänen der Zeit und werden durch motivierende und identitätsstiftende Kunst dem Volk vermittelt. Dass sich die Form- und Bildsprache sowjetischer und US-amerikanischer Werke dabei kaum unterscheidet, wird hier überraschend deutlich. Natürlich gibt es Ausnahmen und Gegentendenzen wie Clarence Holbrook Carters „Kriegsbraut” von 1940 und Rudolf Schlichters „Blinde Macht” von 1937. Beide erinnern am Ende des ersten Ausstellungsteils das nicht zuletzt der Krieg Vater technisch-ökonomischen Fortschritts ist.

Die Nachwirkung der intensiven Bildwelten stößt im zweiten Teil auf Gegenwartskunst vom Höhepunkt der Finanzkrise 2008 bis heute. Das eröffnet einerseits interessante Vergleichsmöglichkeiten und Denksprünge. Andererseits kommen die ausgewählten zeitgenössischen Exponate nur schwer gegen die Kraft der Malerei des ersten Teils an. Maja Bajevic hat die Börsenkurven weltweiter Handelsgüter in Teppiche weben lassen. Tatjana Doll malt Containerwände als Symbol des Globalen Handels. In einer Videoinstallation von Mika Rottenberg werden Feuchttücher aus dem Schweiß einer schwarzen LKW-Fahrerin produziert. Vielschichtiger wird es mit der Videoarbeit von Harun Farocki und Antje Ehmann, die 54 Perspektiven auf Arbeit an 9 verschiedenen Orten der Welt zeigen oder wenn die Künstlergruppe Chot Delat? die Nebenwirkungen von Privatisierung und prestigeträchtigen Bauprojekten in Russland anhand einer besonderen Diskussionsrunde erklärt. Die sich autonom bewegenden Roboterskulpturen der Gruppe BBM (Beobachter der Bediener von Maschinen) die Besucherinnen und Besucher am Ende ansprechen und scannen verweisen nicht nur auf die beunruhigenden Perspektiven elektronischer Kontrollmöglichkeiten. Hier schließt sich auch der Kreis zum ersten Teil der Ausstellung, wo die Kunst bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts das Verhältnis von Mensch und Maschine bildreich befragte. Es ist eine von vielen Verbindungen durch die Zeiten mit denen die sehenswerte Schau den Blick auf vergangene, gegenwärtige und zukünftige Konstruktionen der Welt weitet.