Balthus: Eine Frage der Haltung

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2. Oktober 2018
Text: Annette Hoffmann

Balthus.
Fondation Beyeler, Baselstr. 101, Basel-Riehen.
Montag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 1. Januar 2019.

www.beyeler.com

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:
Hatje Cantz, Ostfildern 2018, 172 S., 58 Euro / ca. 82.90 Franken.

In der Fondation Beyeler wird man es mit Unbehagen betrachtet haben als vor einem Jahr Forderungen an das New Yorker Metropolitan Museum of Art herangetragen wurden, Balthus‘ „Thérèse, träumend“ aus dem Jahr 1938 abzuhängen. Das Bild ist geblieben und wurde jetzt nach Basel ausgeliehen. In der schlicht „Balthus“ betitelten Ausstellung kann man sich nun selbst eine Meinung bilden, ob die Diskussion über die vermeintliche Nähe des Werkes zur Pädophilie eine Berechtigung hat. In der Fondation Beyeler, wo man zwei Jahre an der Schau gearbeitet hat, ist man jedenfalls vorbereitet. Nicht nur ist man nach vorne gegangen: Thérèse – im wachen Zustand von 1939 – findet sich auf den Plakaten, auf Merchandising-Produkten und selbst auf Taxis in Basel. Auch Postkarten liegen aus, auf die man Antworten auf die Frage „Was fasziniert, irritiert oder überrascht Sie an Balthus‘ Bildern“ geben und an die Wand heften kann. Und sollte einem ein Unwohlsein befallen angesichts der träumenden Thérèse, der im Schlaf der Rock so weit hochrutscht, dass man das Weiß ihres Schlüpfers sehen kann, derweil zu ihren Füßen ein Kätzchen Milch aus einer Schale schleckt, kann man sich an die Kunstvermittlerinnen im Raum wenden. Nichts soll unausgesprochen bleiben. Nun ist nicht nur Papier, sondern auch die Leinwand geduldig – doch jeder Betrachtende weiß angesichts der vielen aufgedeckten Missbrauchsfälle der letzten Zeit, dass nicht jede Fantasie Fantasie bleiben muss.

Ausschlaggebend für diese Ausstellung mit um die 40 Hauptwerken war das großformatige Bild „Passage du Commerce-Saint-André“, an dem Balthus (1908-2001), der eigentlich Balthasar Klossowski hieß und schon früh den Entschluss fasste, Maler zu werden, von 1952 bis 1954 arbeitete. An „Passage du Commerce-Saint-André“, das sich seit mehreren Jahren als Dauerleihgabe einer Privatsammlung in der Fondation Beyeler befindet, kann man ablesen, was die charakteristische Atmosphäre von Balthus‘ Bilder ausmacht. Bereits seine ersten Bilder aus den späten 1920er Jahren zeigen eine Luftleere, wie man sie der Neuen Sachlichkeit kennt. Wie die Maler der Neuen Sachlichkeit war auch Balthus an der Frührenaissance interessiert, er kopierte in Italien Fresken von Piero della Francesca und blieb immer Autodidakt. Keine der Figuren des Bildes „Passage du Commerce-Saint-André“, das als Sujet eine lebhafte Straßenszene vorstellen könnte, nimmt aufeinander Bezug. Die mittige männliche Figur wendet dem Betrachter den Rücken zu, das Mädchen vorne hat eine nachdenkliche Haltung eingenommen und rechts sitzt zusammengekauert auf dem Bordstein ein Männchen mit Halbglatze – vermutlich der Maler. Auch bei seinen erotisch aufgeladenen Bildern, auf denen nackte Mädchen Kniestrümpfe und rote Pantoffeln tragen, sind diese in seltsam unnatürlichen Haltungen dargestellt. Dieses Moment der affektierten Inszenierung prägt auch das „Portrait der Madame Georges Hilaire“ von 1935. Die erwachsene Frau steckt in einem Kindchenschema-Körper mit großem Kopf und schmaler Taille. Die Pose und die bedeutungsschwere Farbigkeit könnte dem Film abgeschaut sein.

Überhaupt die Posen: Es fällt schwer, die Häufung von Mädchen, die auf allen Vieren auf dem Boden ein Buch lesen oder sich gar robbend durch den Raum bewegen, nicht mindestens für schwülstig zu halten. Nur zur Erinnerung: Balthus zeigt hier von Erwachsenen abhängige Kinder in unterwürfigen Haltungen. Oft in seiner Karriere hat Balthus den Skandal eher forciert als vermieden. 1933 etwa stellte er Antoinette de Watteville im offenen Negligé bei der Toilette dar, die Zofe hilft ihr mit den Haaren, links daneben sitzt das Alter Ego des Malers sinnierend. Antoinette de Watteville und Balthus, die vier Jahre später heiraten werden, sind in „La Toilette de Cathy“ durch den Plot von Emily Brontës Roman „Sturmhöhe“ überformt – so wie Balthus bei vielen Bildern Anleihen bei der christlichen Ikonografie macht. Nichtsdestotrotz sind die Bilder dazu angetan, viele falsche Freunde zu haben.