Eine Überdosis Beliebigkeit: Surrealismus Schweiz im Aargauer Kunsthaus

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13. September 2018
Text: Annette Hoffmann

Surrealismus Schweiz.
Aargauer Kunsthaus, Aargauerplatz, Aarau.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 2. Januar 2019.

www.aargauerkunsthaus.ch

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:
Snoeck Verlag, Köln 2018, 280 S., 48 Euro / 63,90 Franken.

Bereits die Einleitung im Katalog „Surrealismus Schweiz“ zur gleichnamigen Ausstellung im Aargauer Kunsthaus formuliert ein Paradox. Wie kann das sein, dass sowohl Paul Klee als auch Hans Arp als wesentliche Vertreter des Surrealismus wahrgenommen werden, aber die Kunstrichtung in der Schweiz kaum existent zu sein scheint? Schließlich nahmen Klee und Arp zusammen mit de Chirico, Ernst, Miro und Picasso 1925 an der Ausstellung der Pariser Galerie Pierre „Le surréalisme et la peinture“ teil.

Die Schau „Surrealismus Schweiz“, die nach ihrer Station in Aarau ans Museo d’arte della Svizzera italiana nach Lugano weiter ziehen wird, versucht mit einem ersten Raum eine Antwort. Die besondere geografische Lage, aber auch die spezifische Verfasstheit der Schweiz förderten in den späten 1920er und 1930er Jahren ein Klima, das weniger auf Internationalität und das Irrationale setzte. Die Kunst war damals national, möchte dieses Entree zu einer Schau nahelegen, die unglaubliche 400 Werke von 60 Schweizer Künstlerinnen und Künstler in Petersburger Hängung ausbreiten wird. Eine Arbeit wie das Landibild des Luzerner Künstlers Hans Erni (1909-2015), das für den Tourismuspavillon der Schweizerischen Landesausstellung in Zürich 1939 entstand, bekommt da die Rolle eines Trojanischen Pferds des Surrealismus zugewiesen, weil es Räume verkürzt und zusammenbringt, was inkongruent wirkt. Diese Interpretation verkennt, dass bereits die konservative Variante der Neuen Sachlichkeit, der Magische Realismus, Ähnliches entwickelt hatte.

Peter Fischer, der von 2011 bis 2016 das Zentrum Paul Klee leitete, hat mit „Surrealismus Schweiz“ eine Fleißarbeit vorgelegt. Die Folge der Räume will nicht enden, ebenso wenig die Namen der ausgestellten Künstlerinnen und Künstler, von denen heute viele – und manche nicht ganz zu Unrecht – vergessen sind. Seit 1979 ist es die erste Schau in der Schweiz, die sich wieder mit dem Surrealismus befasst. Obgleich sie ganz auf die Schweiz fokussiert ist, fällt auf, welch immense Bedeutung Paris für die Bewegung hatte. Es war die französische Hauptstadt, die Zusammenkünfte der Künstler, aber auch ihre Zerwürfnisse und Grabenkämpfe, die dem Surrealismus eine Dynamik und auch ein Profil gaben. Denn selbst André Bretons Definition von 1924 als „Denkdiktat ohne jede Vernunft-Kontrolle und ausserhalb aller ästhetischen oder ethischen Fragestellungen“ bleibt vage. Schweizer Künstlerinnen und Künstler, die mit dieser Pariser Szene in Verbindung standen, hatten es leichter, einen gewissen Bekanntheitsgrad zu erreichen. Vereinigungen wie die Selbstorganisation Basler Künstler in der „Gruppe 33“ halfen etwas gegen die Isolation, doch auch hier zeigt sich die Bedeutung des Konstruktivismus für die Schweizer Kunst.

War der Erste Weltkrieg mit seiner sinnlosen Grausamkeit ein Auslöser für die surrealistische Bewegung, so prägte der Zweite Weltkrieg und die prekäre Grenzsituation der Schweiz viele Werke. Der Luzerner Max von Moos (1903-1979) malt die Fratze des Krieges: 1944 „Teufelsküche (Stalingrad)“ oder als Reaktion auf den spanischen Bürgerkrieg „Toledo“ im Jahr 1937, Ernst Maass (1904-1971), der nach seiner Flucht aus Nazi-Deutschland, heimat- und mittellos wurde, schuf in Luzern bizarre Bühnensituationen, die Mobiles gleichen wie „Bedrohter Friede“ von 1938. Der grundsätzlich eklektizistische Charakter des Surrealismus wird auch für die Ausstellung problematisch, Bei 400 Beispielen, die unter eher spitzfindigen Kriterien in neun „atmosphärische Themenräume“ subsumiert werden, ähnelt sich nicht nur vieles, sondern da scheinen auch Vorbilder wie Max Ernst und Francis Picabia allzu deutlich durch. Das strapaziert die Aufnahmefähigkeit doch sehr, daran ändern auch die mit lockerer Hand eingestreuten Beispiele zeitgenössischer Kunst nichts.