Vom subversiven Einsatz der Körper: Life & Dreams in der Walther Colletion

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14. August 2018
Text: Andreas Langen

Life and Dreams: Zeitgenössische chinesische Fotografie und Medienkunst.
Walther Collection, Reichenauerstr. 21, Neu-Ulm. Donnerstag bis Sonntag 14.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 18. November 2018.

www.walthercollection.com

Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:
Steidl, Göttingen 2018, 378 S., 58 Euro | ca. 78 Franken.

Zeitgenössische Foto- und Videokunst aus China ist ähnlich faszinierend, komplex und widersprüchlich wie der Rest des Landes. Um sie zu verstehen, braucht es einiges Wissen, das auch kulturbeflissenen Westlern nicht unbedingt zur Verfügung steht. Eine solche Nachhilfe muss aber nicht dröge sein. Die Walther Collection in Ulm macht daraus einen erstklassigen Seh- und Denk-Parcours, der von Christopher Phillips, langjähriger Wissenschaftler am New Yorker ICP, kuratiert wurde. Die ersten Arbeiten im Hauptraum der Sammlung Walther führen an die Anfänge chinesischer Medienkunst. Dutzende kleinformatiger Schwarz-Weiß-Prints zeigen die Performances eines Künstlerkollektivs, Ende der 1990er Jahre im East Village von Peking. Damals eine billige Gegend, die Akteure weitgehend Unbekannte, Außenseiter. Sie agieren meist nackt, liegen in verdreckten Badewannen, lassen sich in Ketten gewickelt aufhängen oder stapeln sich zu einem Haufen Leiber irgendwo in nebliger Landschaft; Titel: „Einem anonymen Berg einen Meter hinzufügen“. Dadaistisch-komisch, allerdings nur für ahnungslose Wessis. In Chinas Kunst war die Darstellung nackter Körper traditionell tabuisiert, die Happenings aus dem East-Village müssen auf einheimische Betrachter ziemlich schockierend gewirkt haben.

Auch Ai WeiWei ist natürlich in der Walther Collection zu sehen, in Gestalt des berüchtigten Triptychons „Dropping a Han Dynasty Urn“. Auf den fast lebensgroßen, daher analog-unscharfen Fotos aus dem Jahr 1995 steht Ai WeiWei breitbeinig und in Schlabberlook vor einer Ziegelwand und lässt ein Tongefäß fallen, das auf dem Betonboden zerschellt. Ob er da wirklich eine wertvolle Antiquität zu Schaden gehen lässt oder bloß ein Imitat, ist bis heute ungewiss. Der Fotograf und Regisseur Yang Fudong ist ein Superstar der aktuellen chinesischen Kunst. Für die Walther Collection hat Christopher Phillips seine Sechs-Kanal-Video-Installation „East of Que Village“ ausgewählt, ein beeindruckend düsteres Werk. Komplett in Schwarz-Weiß gehalten, zeigen die dokumentarisch wirkenden Filme das trostlose Leben auf dem Land – also dort, wo der immense Boom wenig bewirkt, außer dass die jungen Leute weggehen. Yang Fudong versinnbildlicht die Tristesse vor allem durch Aufnahmen von Hunden, die mit aller Härte gegen einander und ums Überleben kämpfen. Gleichzeitig ziert sich derselbe Yang Fudong nicht, einen Rolls Royce-Werbeclip mit salbungsvollen Sprechblasen über Kreativität und Kunst zu dekorieren; natürlich nur im Netz, nicht in der Walther-Collection. Dennoch ist diese Geschmeidigkeit verwirrend. Vom Systemkritiker zum Luxusbotschafter – ist das rückgratlos? Oder zeigt diese Frage nur, dass westliche Betrachter wenig Ahnung davon haben, wie in China Glaubwürdigkeit künstlerischer Positionen gemessen wird und wie gesellschaftlicher Erfolg?

Wie auch immer – man kann die Ausstellung mit großem Gewinn betrachten, schon wenn man sich nur auf die Exponate konzentriert. Die Werke sind stark, ihre Auswahl und Kombination überzeugend, das Katalogbuch umfassend und brillant. Die Foto- und Videoarbeiten der 44 Beteiligten decken ein großes Spektrum an Themen und Stilrichtungen ab, von der Reflektion des rasant-brutalen Städtebaus bis zu Gender-Fragen, Familienkonstellationen und Menschheits­optimierung via Hightech. Mo Yi, der Autor von „5.16 Notice: It’s Been 49 Years“, bemalt historische Fotos der Kulturrevolution von Hand mit den Ziffern 5.16 und den Jahreszahlen von heute bis 1966. Am 16. Mai 1966 verkündete die KP den Beginn der Kulturrevolution – was sie heute bestreitet, um mit reiner Weste dazustehen. Wahrscheinlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis die chinesischen Behörden von dieser Arbeit Mo Yis Wind bekommen. Noch ist er unerschrocken. Als Christopher Phillips ihn kürzlich für das Magazin „Aperture“ interviewte, kündigte Mo Yi an, die Arbeit „5.16 Notice“ fortzuführen, bis die KP zu ihrer Verantwortung stehe. Der Aufsatz wird bald erscheinen. Danach, so hat sich Christopher Phillips vorgenommen, wird er verstärkt Kontakt zu Mo Yi halten. Man weiß nie, wann Kunst in China gefährlich wird – für die Künstler.