Goshka Macuga in Nürnberg: Großes Welttheater

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9. August 2018
Text: Nora Gantert

Goshka Macuga: Intellectual Co-operation.
Neues Museum, Luitpoldstr. 5, Nürnberg.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 16. September 2018.

www.nmn.de

Feminismus, Transhumanismus, Philosophiegeschichte und kunsthistorische Debatten sind nur einige der Themen, aus denen sich das intellektuelle Referenzsystem Goshka Macugas (*1967) zusammensetzt. Die erste museale Einzelausstellung der polnisch-britischen Künstlerin in Deutschland vereint Arbeiten aus den Jahren 2003 bis 2018 und präsentiert einen Überblick über ihre künstlerische Praxis. Die Arbeit „Make Tofu Not War“ von 2018 ist eine technische Weiterentwicklung der großen motivischen Wandteppiche, mit denen Macuga international auf sich aufmerksam machte. Die in einem Waldstück versammelten Mensch-Tierwesen tragen Plakate bei sich und sind eben von einer Demonstration oder Kundgebung zurückgekommen. Mit den Teppichen nutzt die Künstlerin die traditionelle Symbolik des Gobelins als kostbaren Wandschmuck, der der Darstellung historisch relevanter Inhalte vorbehalten war, und kombiniert ihn mit zeitgenössischen Inhalten und Techniken. „Make Tofu Not War“ ist mit dreidimensionalen Effekten gewebt, wodurch die Handwerkskunst mit moderner 3D-Technik verknüpft wird und eine merkwürdige Überblendung von Tradition und gegenwärtiger Ästhetik entstehen lässt.

In der Arbeit „International Institute of Intellectual Co-operation“ von 2015 setzt Macuga Persönlichkeiten in ganz wörtlichem Sinne miteinander in Verbindung – Köpfe von den Guerilla Girls, Pussy Riot oder Slavoj Zizek etwa stehen, mit Rohren zu molekularen Strukturen verbunden, im Foyer des Neuen Museums, dem Hauptausstellungsraum und auch im Lichthof des Germanischen Nationalmuseums. Hier wird deutlich, dass Kooperationsnetzwerke nicht nur inhaltlich, sondern ganz konkret in der Arbeitspraxis Macugas einen zentralen Platz einnehmen. Für die Nürnberger Ausstellung stieß sie eine Kooperation zwischen dem Neuen Museum und dem Germanischen Nationalmuseum (GNM) an, so dass sie für die Arbeit „Before the Beginning and After the End“ (2016-2018) Objekte aus der Sammlung des GNM in ihr eigenes Werk integrieren konnte. In dieser sowohl inhaltlich als auch vom schieren Ausmaß her ambitionierten Arbeit betrachtet Macuga die großen Fragen der Menschheit: Beginn und Ende der menschlichen Spezies werden auf sechs großen Druckereitischen illustriert. Vom Urknall oder der christlichen Schöpfungsgeschichte bis hin zum Niedergang des Menschen. Die Papierrollen auf den Tischen sind bedeckt mit verschiedenen Zeichnungen, alle wurden von Robotern erstellt, nur die Auswahl der Bilder erfolgte durch die Künstlerin. In dieses Netzwerk der Assoziationen integriert Macuga Artefakte wie die Kopie des Goldhuts von Ezelsdorf-Buch und an anderer Stelle einen Harnischhandschuh, um kriegerische Auseinandersetzungen zu symbolisieren. So finden später auch Beuys „Das Schweigen“ und Manzonis „Merde d‘artista“ ihren Weg in Macugas großes Welttheater.

Auf dem letzten Tisch zeichnen zwei kleine Roboter, müde, angerostet und auf sich gestellt, weiter an der Weltgeschichte. Der sinngebende Mensch hat sich bis dahin selbst vom Erdboden getilgt. Die Bewegungen der Roboter wirken zögerlich und die Striche verschmiert, nicht mehr akkurat und genau wie die Zeichnungen an den vorhergehenden Tischen. Was macht die Maschine ohne ihre Schöpferinnen und Schöpfer? Werden Maschinen mit Hilfe künstlicher Intelligenz Systeme entstehen lassen, in denen der Mensch als Sinnstifter überflüssig wird? Die drängenden Fragen unserer Zeit werden in Macugas Arbeit zu einem nachdenklichen dystopischen Ende gebracht. Über ihre eigene künstlerische Praxis sagt Macuga „Es geht um Lernen und um Wissen und um das Sammeln von Wissen“ und so durchziehen historische oder kunst­historische Anleihen ihr Werk wie lebendige Fäden. Die Künstlerin zitiert, verweist auf andere und flicht so ein Netzwerk über ihre eigene Lebenszeit hinaus, in die Vergangenheit, zu Personen, die für ihre eigene künstlerische Entwicklung wichtig waren, und in die Zukunft zu offenen Fragen und zu noch unbekannten Protagonistinnen und Protagonisten.