Die Stelle des Schnitts.
Kunstverein Nürnberg, Kressengartenstr. 2, Nürnberg.
Dienstag bis Freitag 14.00 bis 18.00 Uhr, Samstag und Sonntag 13.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 24. Juni 2018.
Fenster zu, abdunkeln, abdichten. Fokus nach innen. Für seine erste Ausstellung am Kunstverein Nürnberg verwandelte der neue Direktor Milan Ther die lichten Räume im Verwaltungsgebäude des ehemaligen Milchhofs in vier geschlossene Kino-Boxen. „Die Stelle des Schnitts” vereint drei Videoarbeiten und eine Soundinstallation vier verschiedener Künstlerinnen und Künstler, die den Körper als Resonanzraum medialer Wahrnehmung verhandeln.
Kuratorischer Ausgangspunkt der Ausstellung ist der 2017 entstandene Film „ED/HF” der Amerikanerin Renée Green (*1959). Darin nimmt sie Bezug auf den Filmemacher Harun Farocki, dessen Lebensgeschichte sie mit ihrer eigenen Biografie verwebt. Gemeinsame Erfahrungen von Migration, Exterritorialität und wiederholten Brüchen und Neuanfängen der beiden Kunstschaffenden greifen dabei ineinander. In seiner essayistischen Erzählweise als Collage verschiedenen Filmmaterials, das immer wieder im Split Screen kombiniert wird, nimmt Greens „ED/HF” expliziten Bezug auf eine der bekanntesten Arbeiten Farockis: „Schnittstelle/interface” von 1995. In diesem dokumentarischen Kurzfilm reflektierte Farocki seine eigene Arbeit, das Zusammenstellen von Bild und Ton, Bearbeitung, Schnitt, Montage. Analoge Filmarbeit im Schneideraum.
Nicht mit harten Schnitten, sondern in fließenden Übergängen lässt Cosey Fanni Tutti (*1951) ihre Jugend in Kingston upon Hull Revue passieren. Dort verbrachte Christine Carol Newby ihre ersten 21 Jahre, bevor sie in London mit dem an Mozarts berühmte Oper angelehnten Künstlernamen als Musikerin und Aktionskünstlerin bekannt wurde. In ihrer Videoarbeit „Harmonic COUMaction” verschwimmen Aufnahmen mit Freunden und Familie, Bilder der Straßenzüge ihrer Stadt sowie Fotos erster Happenings und Straßentheater. Eine langsam, aber konstant sich verzerrende, verschwimmende Bildmasse verformt die Gesichter zu Fratzen, Körper und Gebäude verlieren zunehmend ihre festen Konturen. Von rhythmischen Sounds hinterlegt, verflüssigen sich die Bilder; das Leben als lineare Abfolge von Ereignissen und Begegnungen bleibt als abstrakter Strom ungreifbar. Bei Thuy-Han Nguyen-Chi (*1988) sind es zunächst nur einzelne Lichtpunkte, die sich im dunklen Raum bewegen. Nach und nach verdichten sie sich zu raupenförmigen Aneinanderreihungen, die an Bilder aus Astronomie oder Physik erinnern. Tatsächlich verwendete die Künstlerin für ihre Arbeit „Linger on Your Pale Blue Eyes” Aufnahmen aus wissenschaftlichen Instituten. Die Städelschule-Absolventin arbeitete aber auch mit der Forsythe Company Frankfurt zusammen. Die Lichtketten zeichnen die schwebenden Bewegungen der Tänzer nach. Auch hinter diesen sphärischen Bildern verbirgt sich ein konkretes Stück Lebensgeschichte: die nächtliche Flucht einer Wissenschaftlerin aus der DDR nach Westdeutschland, die sich schwimmend nur an den Sternen orientieren konnte.
Ganz ohne visuelle Bilder kommt der englische Künstler James Richards (*1983) aus. Über sechs kreisförmig aufgestellte Lautsprecher füllt sich der Raum mit der vielschichtigen Klanginstallation „Crumb Mahogany”. Klavier- und Gitarrenmelodien, verzerrte Stimmen, Vogelgezwitscher. Straßenlärm, Sirenen, Aufzeichnungen eines EKG. Dazwischen das Knistern einer Schallplatte oder das Klicken der Menüführung auf einem iPod. Aus verschiedenen Richtungen kommend überlagern sich unterschiedlichste analoge und digitale Geräusche in einem sich abwechselnden Crescendo und Decrescendo. Dieser heterogene Klangteppich lässt unweigerlich wieder Bilder entstehen, hier allerdings allein vor dem inneren Auge. Sinnliche Wahrnehmung, egal welcher Medien und Signale, ist immer körperlich und somit immer analog.