Rodney Graham, Lightboxes: Leuchtkästen, leicht anachronistisch

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3. September 2017
Text: Yvonne Ziegler

Rodney Graham: Lightboxes.
Museum Frieder Burda, Lichtentaler Allee 8b, Baden-Baden.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 16. November 2017.
www.museum-frieder-burda.de

Am Tag der Eröffnung der exquisiten Ausstellung von Rodney Graham (*1949) im Museum Frieder Burda kutschierten nicht nur die üblichen Fiaker die Lichtentaler Allee hinab, sondern fanden sich auch mehrere Oldtimer ein, als wollten sie den seltsam in die Vergangenheit entrückten Fotografien einen Anstrich realer Gegenwärtigkeit verleihen. Derart zeitlich zurückversetzt und passend zum selbstbewussten Auftritt des Kanadiers prangt der Schriftzug „Bonjour, Monsieur Graham!“ in grünen Lettern an den Scheiben des Foyers. Man erinnere sich: in der von Gustave Courbet dargestellten Szene „Bonjour Monsieur Courbet“ begrüßt der Mäzen auf einem Spaziergang den entgegenkommenden Künstler und nicht umgekehrt. Demnach ist es wohl für das Museum eine Ehre, Grahams Werke zeigen zu dürfen.

Diese Eingangssituation wird durch eine weitere Arbeit bereichert, deren vielfältige Anspielungen und Kontextverrückungen die ernsthafte Verspieltheit und verschmitzte Reflexion von Grahams Werken offenbaren. Die hochformatige Fotografie „Newspaper Man“ zeigt einen Mann, der auf einer Parkbank sitzend Zeitung liest. Nicht nur die elegante Distinguiertheit seines Anzugs,  die vornehme Haltung und die viel zu hoch gehaltene Zeitung aus dem Jahre 1937, sondern auch der Umstand, dass der Mann den Betrachter durch zwei Löcher ansieht, stiften Verwirrung. Angesichts der fortgeschrittenen Beobachtungs- und Überwachungstechnologie heute wirkt diese Form des Spionierens anrührend antiquiert. Mit dem kleinen Wasserfall links neben dem Zeitungsleser spielt Graham auf Marcel Duchamps letztes Werk „Étant donnés“ an, bei dem der Betrachter durch zwei Gucklöcher einer alten Holztür schauen muss, um die dahinterliegende Installationen bestehend aus einem weiblichen nackten (Puppen-)Körper, der mit geöffneten Beinen auf einem mit Blättern bedeckten Boden liegend eine Gaslampe hält, während im Hintergrund eine Landschaft mit Wasserfall zu sehen ist. Grahams Fotografie entwickelt einen Blickwechsel zwischen Zeiten, Gattungen und Kunst, der Spionage, Voyeurismus und Begehrlichkeit munter vermischt. Diese auf den ersten Blick leichtfüßig und humorvoll wirkende Fotografie, ist letztlich eine hochgradig inszenierte Montage aus unzähligen digitalen Aufnahmen. Produzent und Schauspieler ist der Künstler selbst. Porträtiert wurde er von Profifotografen. Von der Idee bis zum fertigen Werk betrug die Herstellungsdauer etwa drei Monate.

Auf Grahams allesamt in Leuchtkästen präsentierten Fotografien sind sehr viele Details zu entdecken. Ein Leuchtturmwächter sitzt in seiner Turmstube, wo er sich die Füße am offenen Ofen wärmt, während neben ihm ein Modell seines Leuchtturms steht und er in der Hand ein Buch hält, in dem Innenräume von Leuchttürmen abgebildet sind. Das Werk besitzt nicht nur innerbildliche Bezüge, es offenbart auch die Quelle, die den Künstler inspirierte, den Beruf des Leuchtturmwärters und das Bauen von Leuchtturmmodellen zu inszenieren. Andere Fotografien haben einen schlafenden Antiquar inmitten seiner Sammlung oder einen Kodakfilmverkäufer in seinem Laden zum Motiv. Mehrere Werke widmen sich Malstilen oder Medienneuheiten: Dripping, Farbfeldmalerei, Graffiti, Tonbandgeräte, Kassetten- und Videorekorder sowie mobile Röhrenfernseher erzählen von der Coolness einer anderen Zeit. Einmal inszeniert sich Graham als Drummer, der in einer Spielpause Gabel und Messer im „American grip“ hält und gerade im Begriff ist, ein auf einer kleinen Trommel stehendes Salisbury Steak zu essen. Hintergrund und Habitus wirken sehr gediegen. Ganz anders als Jeff Wall, der nicht nur Grahams künstlerischer Mentor war, sondern auch der Drummer seiner Band UJ3RK5. Einige Songs der Band kann man im Shop anhören. Auch Filmklischees wie wartende Ganoven, die ihre Opfer im Kugelhagel tanzen lassen, hat Graham meisterlich reinszeniert. Auch wenn man die Hintergrundinformationen und die kunstgeschichtlichen Bezüge nicht kennt, faszinieren die Fotografien aufgrund ihres Detailreichtums und ihres Witzes ungemein.