Ungestalt: Die Welt in Auflösung

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6. Juni 2017
Text: Dietrich Roeschman

Ungestalt.
Kunsthalle Basel, Steinenberg 7, Basel.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 20.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 13. August 2017.
www.kunsthallebasel.ch

In der Kunsthalle Basel kann einen derzeit das Gefühl beschleichen, mitten durch eine Ausstellung zu waten, die auf den ersten Blick wie ein miese Komödie über Dinge daherkommt, die etwas zu sein behaupten, was sie nicht sind – nämlich Kunst. Gleich im ersten Saal treffen so zwei alienartige Körpermöbelobjekte von Joachim Bandau auf ein lose an der Wand verspanntes Microfaser-Stoffbild des Afroamerikaners Eric N. Mack in fahlen Grün- und Brauntönen. Dazu zeigt die Malerin Michaela Eichwald eine fettglänzende Pilzlandschaft auf Kunstleder und die Französin Caroline Achaintre karnevaleske Wollteppiche mit grellbunten Fransenfrisuren in absurd polygonalen Zuschnitten. Ist das schön? Lustig? Supercool? Schwer zu sagen. Fest steht nur: Was diese Arbeiten eint, ist ihr Hang zu Formlosigkeit und Unentschiedenheit, oder – wie Kunsthallen-Direktorin Elena Filipovic mit dem Titel dieser Ausstellung auf den Punkt bringt – zur „Ungestalt”.

Ungestalt, sagt die Kuratorin, sei wahrscheinlich eines der ersten deutschen Worte gewesen, das ihr begegnete, als sie von L.A. nach Europa zog. Das war vor gut 15 Jahren, und ihr Grund, die USA zu verlassen, waren Recherchen über Marcel Duchamp. Dem französisch-amerikanischen Pionier der Konzeptkunst widmete sie später unter anderem die erste lateinamerikanische Retrospektive in Buenos Aires und zuletzt ein viel beachtetes Buch über sein atemberaubendes Schaffen, das den Kunstbegriff so radikal erweiterte, dass selbst Avantgarde-Experten wie das Händlerpaar Sidney und Harriet Janis staunten. Duchamps Werk, schrieben sie 1945, sei so fern von allem, was bisher als Kunst gegolten habe, dass es oft „kaum als Produkt kreativer Tätigkeit zu erkennen sei”. Die Frage, die Duchamp damit aufwarf, ist bis heute aktuell: Woran erkennen wir eigentlich, was Kunst ist und was nicht? Was zeichnet eine künstlerische Arbeit aus: Handwerkliche Virtuosität, formale Ausgewogenheit, ein plausibles Konzept? Oder ist es nicht vor allem seine schiere Existenz gegen jede Wahrscheinlichkeit?

Um dieser Frage nachzugehen, hat Elena Filipovic 17 Kunstschaffende aus aller Welt eingeladen. Im Zentrum ihrer Schau stehen als historische Referenz drei Objekte Duchamps aus den 1950er Jahren, darunter neben zwei genitalartigen Kleinskulpturen das fleischfarbene Objekt „Coin de Chastété” zum Ineinanderstecken, das Duchamp für seine Frau als Kopulations- und Partnerschaftsfetisch von einem Zahntechniker hatte anfertigen lassen. Flankiert werden diese kryptischen Dinge von einer monströsen Körperteilecollage der Polin Alina Szapocznikow und einer Reihe von in Decken verschnürter Kinderpuppen, mit denen Liz Magor eine Spur des Grauens durch die Kunsthalle legt. Abseits solcher Aspekte des Unheimlichen verhandelt die Ausstellung das Ungestaltete jedoch vor allem als Resultat kalkulierter Unschärfe sowie einer experimentellen Erkundung der Grenzen des Kunstwerks. Ein schönes Beispiel dafür findet sich im dritten Saal direkt neben dem Kühlschrank, in dem Adrián Villar Rojas ein Stillleben aus realen Lebensmitteln verfaulen lässt. Am Boden hat die Litauerin Olga Balema ein hellblaues Stück Kunstfell auf einem mit Stromkabeln versehenen Stück Karton drapiert. Doch tatsächlich hat es dieses erbärmliche Objekt nur zur Hälfte in die Ausstellung geschafft. Die andere Hälfte haben Mitarbeiter der Kunsttransportfirma versehentlich entsorgt, da auf dem Lieferschein nicht angegeben war, welche Teile der Fracht zum Kunstwerk und welche zur Verpackung gehörten. Es ist der alte Treppenwitz vom Servicepersonal, das Beuys’ Fettecke wegputzt, aus dem Balema hier ironische Funken schlägt. Gänzlich ins Ungeformte, Immaterielle verflüchtigt sich diese sehenswerte Schau schließlich in den Arbeiten von Tomo Savic-Gecan, der die Luftfeuchtigkeit in der Kunsthalle per Datentransfer abhängig macht von der Besucherfrequenz einer Galerie in New York, sowie der Künstlerin Florence Jung, deren künstlerischer Beitrag allein im nicht näher bestimmten, aber schriftlich bestätigtem Einfluss auf den Verlauf der Ausstellung besteht. Derartige Widerspenstigkeit im Geist Duchamps ist nicht der schlechteste Kommentar zu einer Zeit, in der die perfekte Form längst ihr Versprechen als Garant von Sicherheit und Ordnung eingebüßt hat.