Raymond E. Waydelich: Eine sentimentale Archäologie

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10. April 2017
Text: Annette Hoffmann

Raymond E. Waydelich.
Städtische Galerie Offenburg und Kunstverein Offenburg-Mittelbaden, Amand-Goegg-Str. 2, Offenburg.
Dienstag bis Freitag 13.00 bis 17.00 Uhr, Samstag und Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 28. Mai 2017.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen:Modo Verlag, Freiburg 2017, 192 S., 32 Euro | ca. 36 Franken.

Einen Künstler wie Raymond E. Waydelich wird es kaum mehr geben. Der 1938 in Straßburg geborene Maler, Bildhauer und Aktionskünstler repräsentiert einen weltgewandten Provinzialismus, wie er nur in einer zweisprachigen Grenzregion gedeihen kann. Insofern ist die Retrospektive, die in der Städtischen Galerie Offenburg und im Kunstverein Offenburg-Mittelbaden zu sehen ist, am rechten Ort. Auch diesseits des Rheins wird jetzt also das Werk Waydelichs gewürdigt. Es ist gleichermaßen durch die respektlose und gewitzte Kombinatorik eines Marcel Duchamp geprägt wie auch durch die Art brut. Dabei ist Raymond E. Waydelich noch nicht einmal ein Autodidakt. Er machte in den 1950er-Jahren bei seinem Vater eine Ausbildung zum Holzbildhauer, danach studierte er erst in Straßburg, dann in Paris an der École nationale supérieure des arts décoratifs. Und noch bevor er 1973 zufällig auf einem Flohmarkt – oder einer anderen Quelle zufolge auf einem Dachboden – Schriften der Schneiderin Lydia Jacob finden sollte, reis­te er. Er war Armeefotograf in Algerien und machte dort auch Aufnahmen römischer Ausgrabungsstätten für eine Reportage, später zog es ihn nach Tunesien, Griechenland, die Türkei und Marokko.

Lydia Jacob und die Archäologie sind die beiden Fixpunkte seines Werkes. Um die Frauengestalt wird er wie ein Romanautor mehrere Erzählstränge dichten. Er ließ sie und ihre Familienmitglieder unterschiedlichen Hobbys frönen, die ihn selbst interessierten: das Angeln, die Fotografie und die Archäologie. Waydelichs Lydia Jacob-Fantasien manifestieren sich vor allem in Objektkästen. In einem dieser Kästen ist deutlich der Stempel „Lydia Jacob Modeschöpferin“ zu erkennen, der sich bei so vielen dieser Arbeiten findet. Dazu arrangiert er ein Hochzeitsfoto mit dem Titel „Kissing the bride“, mehrere Porträtfotos, den Ortsnamen Saargemünd. Unzählige Flohmarktfunde hat Waydelich in diesem Zyklus verarbeitet. Fischköder, alte Buchseiten, viele Buchdeckel, das Ziffernblatt einer Uhr, das mit einer Metallfeder ausgestattet zu einem seltsamen Flugobjekt wird. Auf einer Serigrafie findet sich die kolorierte Werbung für einen Hut aus dem 19. Jahrhundert mit künstlichen Blumen und drapiertem Tuch und eine weitere Anzeige für eine Absatzpoliermaschine. Das alles ist auf Millimeterpapier gedruckt, auf dem verschiedene Farben ausprobiert wurden.

Es ist als schaute man in die Wunderkammer eines manischen Sammlers, dem noch zu jedem sonderbaren Stück eine Geschichte einfallen würde. Dazwischen stehen in der Ausstellung Skulpturen wie der Hund aus Ton mit Augen aus Murmeln, der in den Nullerjahren entstanden ist und Schiffe aus verschiedenen Elektronikteilen zusammengebaut. Vielleicht sind Waydelichs Assemblagen eine Archäologie der vergessenen Dinge und für jeden Betrachter nicht nur eine Übung im Decodieren, sondern auch der Scham über eine maßlose Wegwerfgesellschaft, die binnen weniger Jahre Dinge für nutzlos oder ihr Design für indiskutabel erklärt.

In den Nullerjahren sind auch Waydelichs „Memory Paintings“ entstanden, die auf bekannten Werken der Kunstgeschichte beruhen, deren Reproduktionen er collagiert und dann scannt. Diesen Prints fehlt jedoch die Konkretion des Objektes, gegenüber den Bildkästen und den Assemblagen wirkt die Serie geradezu flach. In Offenburg wiederholt sich zudem das Waydelichs Werkprinzip der Addition in der Präsentation seines Werkes. Um die 150 Arbeiten sind auf den beiden Stockwerken im Kulturforum zu sehen. Da die Städtische Galerie und der Kunstverein Offenburg-Mittelbaden zudem einen fast identischen Grundriss haben und über die gleiche Folge von Räumen und Stellwänden verfügt, erlahmt das Auge am Ende ziemlich.