Liz Magor: you you you: Der Körper im Ding

Review > Zürich > Migros Museum für Gegenwartskunst
1. April 2017
Text: Julia Hochstenbach

Liz Magor: you you you.
Migros Museum für Gegenwartskunst
Limmatstr. 270, Zürich.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 11.00 bis 20.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 7. Mai 2017.

Halbverschlissene Wolldecken, knittrige Kartonpappen, alter Hausrat, Krempel, Flohmarktzeug lassen beim Durchwandern der Ausstellung im Zürcher Migros Museum für Gegenwartskunst Abwehr und Unbehagen aufsteigen. Spät ist diese erste Schweizer Einzelschau der in ihrem Heimatland hochrenommierten Kanadierin Liz Magor (*1948) zu sehen, die danach im Hamburger Kunstverein gezeigt wird. Hier steht und liegt das Vergangene herum, das Verworfene und Verdrängte. Man schaut auf die hässliche Kehrseite des Alltags, in die privatesten Archive, wo das jahrzehntelang Mitgeschleppte lagert. Milchig durchscheinende Kisten voll säuberlich gestapelter Geschenke oder Stoffe etwa, glanzlos-prosaisch in ihrer Erkennbarkeit und zugleich unantastbar, luftdicht verpackt, wie mit einer dicken, glatten Staubschicht überzogen: Stillstand, Stagnation, unaufgeräumte Vergangenheit. Es sind versteckte Biografien, die sich hier offenbaren, einerlei, ob diese Gegenstände von ihren Besitzern künden oder selbst anthropomorphe Züge tragen. Im Ding spiegelt sich der Körper, das Subjekt, im Umgang mit den Dingen der Umgang mit mir selbst. Wolldecken und Pullover werten sich mit Etiketten auf wie Menschen mit militärischen Abzeichen, ein tiefes Gefühl der Nutzlosigkeit offenbarend; wie von Narben sind die Stoffe von Flecken und Brandlöchern versehrt, noch verstärkend nachmodelliert, als hätte man sich die Wunden absichtlich selbst zugefügt.

Was wie ein eingekapselter Schmerz in Kisten verpackt liegt, manchmal gar perfide mit schimmernder Oberfläche überzogen, wird in anderen Skulpturen klar zutage gefördert. Sauber gestapelte Handtücher oder alte Kleider erweisen sich rückwärtig als perfekt imitierende hohle Gipsabgüsse, die bis zum Rand gestapelt mit Zigaretten oder Alkoholischem gefüllt sind. Wie spöttisches Gelächter über die alltäglichen Lügen reihen sich die Bierflaschen aneinander, doch Magors Humor fußt auf dem Ernsthaften. Verborgen unter Geordnetem liegt die Sucht, die Krankheit, die Flucht in den Konsum; mit Genussmitteln vollgestopft, muss man sich nicht spüren, es bleibt kein Raum, keine Luft für die Seele.

Mit ihren Skulpturen und Installationen, auf die die Schau fokussiert, baut Liz Magor die Krankheit einer Gesellschaft nach, in der das unliebsame Innere versteckt und vertuscht wird und so im Stillstand verharren muss. Die Ambivalenzen aber dringen tief ins Material ein und verweisen über klare Widersprüche hinaus auf tiefere Uneindeutigkeiten. Pullover, Handtücher und Pappkartons, die verschnörkelten Tabletts und sogar ein Haufen Steine sind aus Gips: Perfekte Nachahmungen, als solche mitunter nur durch Lesen der Materialliste erkennbar. Was treibt die Künstlerin, einen beliebigen Haufen Steine nachzubilden? Echt sind dagegen die orangenen „Cheetos“, Käse-Maispops, die unter den Steinen hervorleuchten, oder die auf der Straße gefundenen Pralinenpapierchen auf den Tabletts. Unechte Natur, echte Fabrikware; hand-nachgeahmte Massenprodukte, echt Weggeworfenes. Neben einer ironischen Pervertierung vom Wert des Singulären und des Massenprodukts, neben Seitenblicken auf Konsumverhalten und Werteverfall tauschen hier wahr und falsch die Plätze, verwirren sich, „die Wahrheit lügt“, wie Ben Vautier es ausdrückte; die Absurdität und Lügenhaftigkeit der Imitation hebt den Gegenstand aus seiner einfachen Materialität heraus, vergeistigt ihn.

Liz Magor lässt ihr Spiel um Real und Irreal schillern, ohne weitere Erkenntnisse oder Lösungen anzubieten – vielmehr eröffnet sie das Bewusstsein unauflösbarer Widersprüche im menschlichen Sein, zu vieler Schichten für eine einzige Wahrheit, nicht nur schonungslos Offengelegtes ist unter dem billigen Schund zu entdecken, sondern auch ein kluger, klarer Geist.