Manfred Pernice: Eine Dose ist eine Dose ist eine Dose

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4. Februar 2017
Text: Annette Hoffmann

Manfred Pernice: 2B Dosenwelt.
Kunstmuseum St. Gallen, Museumstr. 32, St. Gallen.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 19. Februar 2017.

Dosen stehen ja nicht unter dem besten Ruf. Sie eignen sich perfekt zum Konservieren von Eintöpfen und Gemüse, praktisch, aber schon so gut wie verkocht. Manfred Pernice (*1963) muss andere Erfahrungen gemacht haben. Er arbeitet nicht nur seit etwa 20 Jahren an diesem Thema, seine Einzelausstellung im Kunstmuseum St. Gallen „2B Dosenwelt“ zeigt 43 Arbeiten, bis auf wenige Ausnahmen sind alles Dosen. Das muss einem erst mal nicht eintönig werden. Der Künstler führt Dosen in ihren unterschiedlichen skulpturalen Funktionen vor: sie sind autonomes Objekt, Sockel, Display und Architektur. Eines sind sie nicht Fetisch. Pernice legt auch ihre Konstruktion bloß und die ist aufs Nötigste reduziert, Pressspann oder Holz bilden die kreuzförmige Grundkonstruktion, um die Ringe gelegt sind, die wiederum verkleidet sind.

Vor allem jedoch sind diese Dosen in Manfred Pernices Ausstellung Narrative. Da ist zum Beispiel die Anordnung von fünf runden Boxen in den Farben pink, orange, gelb, grün und blau, ein Halstuch wird von einem Deckel fixiert. Die Dosen bilden das blumenförmige Logo der sozialistischen Weltfestspiele 1973 in Ostberlin. Pernice realisierte diese „Blume“ betitelte Arbeit vor drei Jahren für den Brandenburgischen Kunstverein in Potsdam, der 1973 als Ausstellungspavillon zu diesem Anlass gebaut wurde. Schaut man sich das Tuch, das vom Deckel der Box gefasst wird, genauer an, erkennt man unzählige Autogramme. Nicht selten bezieht sich Pernice auf konkrete lokale Begebenheiten. Als Stipendiat der Dürener Peill-Stiftung machte er dort eine seiner Peilungsarbeiten. Die Tatsachen, dass Ulrich Rückriem in Düren seine Ausbildung zum Steinmetz absolvierte, dort ein Kriegsdenkmal verwirklichte, zusammen mit Blinky Palermo im Schloss Nörvenich lebte und arbeitete, schloss Pernice damit kurz, dass im Schloss der Nachlass von Arno Breker deponiert ist und dass in Düren eine Heinrich Böll-Büste des ostdeutschen Bildhauers Wieland Förster steht. In St. Gallen ist die Gartenbank der Familie Peill jetzt als Museumsmöbel installiert, auf dem man sich niederlassen und zum Katalog von Pernices Dürener Peilungsarbeit greifen kann, der an der Bank angekettet ist. Was das alles miteinander zu tun hat? Pernices Peilungen sind mit einiger Unschärfe verbunden, aber atmosphärisch dicht.

Die deutsch-deutsche Teilung und die Nachkriegsgeschichte sind für Pernice, der von 1988 bis 1993 an der Hochschule der Künste Berlin Bildhauerei studierte, wo er heute selbst unterrichtet, immer noch Bezugspunkte. Der Fall von Chris Gueffroy, der am 5. Februar 1989 bei der Flucht aus Ostberlin über die Mauer erschossen wurde, ist mit Presseberichten auf einer der Säulen dokumentiert. Eine andere erinnert an die Klinkerwände von U-Bahn-Stationen. Pernice nutzt seine Dosenarchitektur als Präsentationsform für seine Recherchen, die oft assoziativ sind. Er dost Zeitgeschichte und Erinnerungen ein. Der Künstler setzt sie aber auch ein, um andere Werke zu präsentieren. Sei es, dass er auf ihr wie bei „Liqu.T-welt2 (Abt. Strehla)“ gut 140 Gefäße der Steingutfabrik Strehlau aufstellt – nicht ohne mit aufgeklebten kopierten Seiten auf den alten Handelsweg hinzuweisen, der durch Strehlau führte. Sei es, dass er bei „Ersatzgruppe (Dosentreff)“ eine Ersatzmannschaft mit Werken von Bernhard Heiliger, Siegfried Krepp und Fritz Wotruba anstelle der eigentlichen Werke der Ausstellung im Hamburger Bahnhof nominiert. Manfred Pernice kalauert, seine Kunst ist verspielt und er behält Witze auch gern für sich. Viele der Dosen haben ein Innenleben, das das angedeutete Thema vertieft und meist vor den Augen des Betrachters verborgen bleibt. Doch je genauer man sich mit Pernices Skulpturen befasst, sich noch zum letzten nachlässig kopierten Zettel beugt oder die Installation „Tutti VI“ besteigt, die ein wenig an eine prekäre Revolutionsrednertribüne erinnert, desto stärker ist der Eindruck dieser Arbeiten.