Ungerahmte Welt: Im künstlichen Paradies

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3. Februar 2017
Text: Yvonne Ziegler

Ungerahmte Welt: Virtuelle Realität als künstlerisches Medium für das 21. Jahrhundert.
Haus der elektronischen Künste, Freilager-Platz 9, Münchenstein-Basel.
Mittwoch bis Sonntag 12.00 bis 21.00 Uhr.
Bis 5. März 2017.

Das menschliche Gehirn unterscheidet nicht zwischen pathologischer, virtueller und physikalischer Realität. Alles wird real erlebt. Medikamente und Drogen, logische Überlegungen und überprüfendes Handeln vermögen bei der Grenzziehung zwischen Illusion und Wirklichkeit zu helfen. Seit jeher macht sich die Kunst diese Unschärfe zu Nutze, um reflexive, ideale, futuristische oder dystopische Wirklichkeitsräume zu entwerfen: zentralperspektivische Bilder, illusionistische Deckengemälde, Panoramen und Kirchen.

Wer in der Ausstellung „Die ungerahmte Welt. Virtuelle Realität als Medium für das 21. Jahrhundert“ im Basler Hek erstmals ein VR-Gerät aufsetzt, taucht in ein Paralleluniversum. Man steht fest auf dem Boden, kann sich in alle Richtungen wenden, den Kopf und die Augen bewegen, um das zu sehen, hören und erfahren, was im computergenerierten System als virtuelle Realität im 360° Modus existiert. Die physische Realität ist nur einen Augenwimpernschlag entfernt. Dazwischen befindet sich ein technisches Medium, das hinter der erzeugten sich ständig verändernden fluiden Realität verschwindet. Sei es in Form eines Head-Mounted Displays (z.B. Oculus Riff, HTC Vive) oder des eigenen Smartphones, das in ein Kartongestell gesteckt wird. Manche Geräte sind mit Kopfhörern ausgestattet, andere koppeln die Kopfbewegung an das System zurück, sodass dieses interagieren kann.

Man fühlt sich an die Anfänge der interaktiven Kunst zurückversetzt, in der es galt, die Funktionsweise eines neuen technischen Mediums zu erkunden. Die ausgewählten VR-Arbeiten besitzen jeweils eine Realraum- und eine VR-Komponente, wodurch es sich wie selbstverständlich zwischen den Welten wechseln lässt. Rachel Rossins Arbeit „Just a Nose“ besteht beispielsweise aus an der Wand hängenden abstrakten Gemälden und einem Video, das eine „Pinocchio-Nase“ in einen schwankenden Wasserspiegel zeigt. Setzt man das in der Mitte an einem Seil hängende VR-Gerät auf, so begegnet man den soeben gesehenen Elementen und hat die Möglichkeit durch Bewegung von Kopf und Körper mit der digitalen Nasenspitze bemalte Tücher im virtuellen Wasser zu bewegen. Das Werk vermag einen Zustand spielerischer Leichtigkeit hervorzurufen, in dem man alles rundherum vergessen und doch präsent sein kann. Der abgeschirmte Zustand wird durch glucksende Wassergeräusche und andere Töne verstärkt.

In anderen Werken kann man mit Hilfe eines einfachen Controllers Dinge erschaffen (Mélodie Mousset „HanaHana“) oder eine vorgefundene Welt durch Punkt zu Punkt Bewegung erkunden (Friedemann Banz & Giulia Bowinkel „Mercury“). Die virtuellen Räume sind jeweils übersichtlich gehalten, bleiben hinter den technischen Möglichkeiten von Animationsfilmen zurück, die Aktionsmöglichkeiten sind begrenzt, wie in älteren Videospielen, nur, dass man sich von der Welt gänzlich umschlossen fühlt, man nach vorne hinten oben oder unten und dabei sogar ins flüssige Körperinnere gelangen oder den realen Körper als Agierende sieht. Der eigene Körper wird zum Avatar, der die fremde Realität erkundet. Die Kunstwerke sind von körperlicher Unmittelbarkeit geprägt.

Die präsentierten VR-Werke ‒ im Übrigen die erste größere Ausstellung zu VR-Kunst ‒ verhandeln sehr unterschiedliche Themen. In Marc Lees „10.000 moving cities“ lässt sich inmitten von Kuben stehend wahrnehmen, was in den Sozialen Netzwerken zu einer bestimmten Stadt gepostet wurde. Eine eher konzeptuelle Arbeit verbindet drei auf motorisierten Stühlen sitzende Besucher miteinander. Es gilt den Anweisungen zu folgen, dabei kann einem beim plötzlichen Dreh ein leichter Schwindel erfassen. Rindon Johnson verbreitet sein collagiertes poetisches VR-Werk zu Rassismus, Sex und Gender per You Tube während Li Alin mit gefakten und virtuellen Klonen in die Zukunft entführt.