Kunst in Europa: Mega-Geschichtsstunde

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7. Januar 2017
Text: Carmela Thiele

Kunst in Europa 1945-1968.
ZKM, Lorenzstr. 19, Karlsruhe.
Bis 29. Januar 2017.
www.zkm.de

Das Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) zeigt bis Ende Januar eine ihrer Mega-Schauen – diesmal eine Geschichtsstunde mit der Botschaft: Vergesst das Ost-West-Denken, Kunst kennt heute keine Grenzen mehr. Das war lange Zeit anders. In den kommunistischen Ländern war der sozialistische Realismus Staatsdoktrin, die jedoch besonders in Ungarn, der Tschechoslowakei und Jugoslawien von Neo-Avantgarden unterwandert wurde. Der Westen feierte zunächst in Opposition zum Osten die Abstraktion als Weltsprache, die jedoch genauso von Informel, Pop-Art, Performance, Minimal- und Konzeptkunst abgelöst wurde.

Es ist so gut wie unmöglich, während eines Rundgangs alle 500 Werke der 200 Künstler aus den Jahren 1945 bis 1968, die hier gezeigt werden, auch nur annähernd zu würdigen. Lohnend ist der Blick auf die unmittelbare Nachkriegszeit, als die Künstler auf Tod und Zerstörung des Zweiten Weltkriegs reagierten. Wer aber die Bedeutung der Erschießungsbilder des polnischen Malers Andrzej Wróblewski (1927-1957) verstehen will, sollte zuvor die Zeitleiste sowie die Raumzettel studieren. Denn Trauerarbeit war im kommunistischen Polen nicht angesagt. Der Sieg des Proletariats ließ keine emotionale Aufarbeitung zu. So wurde 1949 eine Anti-Kriegsausstellung der Gruppe um Wróblewski in Krakau verboten. Auf andere Weise restriktiv agierten die Deutschen, die 1956 verhinderten, dass Alain Resnais’ Film „Nacht und Nebel“, die erste Film-Dokumentation der NS-Konzentrationslager, im offiziellen Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes gezeigt wurde.

Die von drei Museen in Belgien, Russland und Deutschland, unter der Federführung des Ostkunst-Experten Eckhart Gillen, organisierte Ausstellung ist in der Auswahl durchaus fein ziseliert, die schiere Masse jedoch lässt dies kaum sichtbar werden. Interessant ist etwa zu erfahren, dass eine moderne Ikone wie Fernand Léger (1881-1955) sich wahrscheinlich für sein Gemälde „Die Bauarbeiter“ (1951) von Fotografien sowjetischer Bauarbeiter im Stahlskelett eines neuen Regierungsgebäudes in Moskau hat inspirieren lassen. Solche Aufnahmen waren 1949 in der Propaganda-Zeitschrift „UdSSR im Bau“ abgedruckt, und Léger war Mitglied der französischen KP. Was uns jedoch das Werk „Im Museum“ (1961) von Hans Mayer-Foreyt (1916-1981) zu sagen hat, einer der Mitbegründer der Leipziger Schule, bleibt offen. Fast karikierend bringt er eine gebückte Arbeitergestalt, eine kräftige Blondine im ärmellosen Kleid, Kinder und ein elegantes Intellektuellen-Paar beim sonntäglichen Kulturprogramm auf einer Leinwand unter.

Auch der sozialistische Realismus, so könnte man schlussfolgern, ließ Schlupflöcher, Kunst lässt sich einfach nicht verordnen. In den 1960er Jahren weichen die Stereotypen zunehmend einer internationalen Avantgarde. Einfach großartig ist das 1960 entstandene Objekt „Inflatable Mattress with Female Figure“ von Stano Filko (1937-2015), eine Luftmatratze, auf deren Liegefläche die Konturen einer Frau zu sehen sind. Aber auch Zorka Ságlovas (1942-2003) partizipative Performance „Ballwerfen in den Borin-Teich“ von 1968 zeugt von entspanntem Umgang mit neuen Kunstformen.