Herbert Maier, wer wir sind: Panorama des Menschlichen

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6. Januar 2017
Text: Annette Hoffmann

Herbert Maier, Wer wir sind.
Museum für neue Kunst, Marienstr. 10a, Freiburg.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 26. Februar 2017.
www.freiburg.de/museen

Würde es sich bei den Hunderten von Aquarellen, die in Herbert Maiers Ausstellung im Freiburger Museum für Neue Kunst „Wer wir sind“ präsentiert werden, um Fotos handeln, wäre sie um einiges weniger überraschend. Doch Maier (*1959) mag mit der Werkgruppe „Wer wir sind“ auf die virtuelle Bilderflut reagiert haben, er schließt sich ihr nicht an. Allenfalls kann man mutmaßen, dass er einige der Motive im Internet gefunden hat, doch auf die meisten dürfte er in Kunstkatalogen und Zeitungen gestoßen sein. Insgesamt sind seit 2010 mehr als 500 dieser kleinformatigen Arbeiten entstanden. Man kennt das Aquarell als eine schnelle, schon fast gestische Kunstform. Herbert Maier schichtet sie – so wie er auch seine Bilder Lasur um Lasur aufbaut – und am Ende überzieht er sie mit einem versiegelnden letzten Farbauftrag. Bei manchen der Werke sieht das dann aus als handelte es sich um Daguerreotypien. Das Durchlässige, das spontan wirkende Spiel der Farben, das ansonsten das Aquarell auszeichnet, stellt sich hier nicht ein.

Der Titel ist dabei ganz wörtlich zu verstehen. Maier schafft ein Panorama des Menschlichen, der Großteil der Arbeiten sind Köpfe oder in einer abstrahierten Form Masken, auch Körper sind darunter in den verschiedensten Zuständen sowie Kunstwerke, auch solche, die man hier nicht erwarten würde. Herbert Maier hat dabei die gesamte Kunstgeschichte geplündert. Eine abstrakte Arbeit von Ellsworth Kelly findet sich ebenso wie Fotos von Robert Frank, Bilder von Elizabeth Peyton, Tatlin oder Brueghel. Bei einigen der Arbeiten schält Maier die Figuren radikal aus dem Hintergrund heraus, so dass manieristisch verdrehte Körper auf den Betrachter eindrängen oder der tote Marat leblos über einer imaginären Wölbung hängt. Die Pressefotos hingegen erzählen vom Kult um große Individuen, Einstein findet sich in der Nähe von Gandhi und Lincoln oder von den Katastrophen aktueller Kriege und Gewaltverbrechen, Opfer aus dem Vietnamkrieg sind in der schieren Menge auszumachen und verstümmelte Frauen. Das hat mitunter etwas von einem gelehrsamen Memoryspiel.

Versteht man „Wer wir sind“ als eine Art Kulturgeschichte ‒ der Künstler selbst spricht von einer „visuellen Bibliothek“ und variiert dadurch das Bild des Speichers, das er für seine Malerei einsetzt ‒ dann erscheint der Mensch als Macher. Er tritt als Künstler, Wissenschaftler oder Gelehrter auf, manchmal als Spiritueller und manchmal ist er Objekt der Weltgeschichte, etwa dann, wenn

er Kriegsopfer ist oder verletzt wird. Die kleinformatigen Arbeiten werden ungerahmt auf einer Leis­te präsentiert, wer sich näher für das Sujet interessiert, muss zum nächsten Zettelkasten treten. Einige Motivgruppen lassen sich ausmachen, doch oft wirkt die Anordnung der Aquarelle assoziativ. Man muss an Aby Warburgs Ordnungssystem denken, dem jedoch die lineare Präsentation widerspricht. Doch wo bleiben all die Bilder. Neben seiner Mutter und seinem Vater auf dem Totenbett findet sich auch ein ungewöhnliches Selbstporträt unter den Werken. Es zeigt den Künstler bei geöffnetem Schädel mitsamt zwei Schnitten durch das Gehirn. Dort kann sich dann noch einmal alles neu ordnen.