Paradise Lost:

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19. August 2016
Text: Dietrich Roeschmann

Paradise Lost.
Museum Villa RotBurgrieden-Rot.
Mittwoch bis Samstag 14.00 bis 17.00 Uhr, Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 16. Oktober 2016.
www.villa-rot.de

Wenn man durch die Hügellandschaft Oberschwabens fährt, kann man sich nur schwer vorstellen, dass das Paradies eine Fiktion sein soll – ersonnen, um dem Menschen vor Augen zu halten, dass vieles besser lief, als er sich noch nicht anmaßte, Herrscher über die Welt zu sein. Keine Fiktion dagegen ist die Spur der Verwüstung, die er durch die jüngere Erdgeschichte zieht, weshalb die Forschung längst vom Anthropozän spricht, wenn sie beschreiben möchte, wie effektiv und nachhaltig sich der Mensch durch die Ausbeutung der Natur und durch riskante Wetten auf die Zukunft seiner Lebensgrundlagen beraubt. Pünktlich zum Doppeljubiläum der Nuklearkatastrophen von Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) hat Stefanie Dathe – Leiterin der Villa Rot in Burgrieden und ab Herbst Direktorin des Ulmer Museums – deshalb jetzt eine kleine Gruppenschau zusammengetragen, die die Formkräfte menschlichen Versagens ebenso in den Blick nimmt wie das Pathos des unbeirrbaren Fortschrittsglaubens. Ausgangspunkt der Ausstellung ist John Miltons 1667 veröffentlichtes Versepos „Paradise Lost” über die Vertreibung aus dem Garten Eden, dessen lauschigste Ecken der Finne Ilkka Halso (*1965) hier in großformatigen Fotografien zu einem fiktiven Archiv längst untergegangener Biotope ordnet. Die unheilvolle Stille, die von diesen mumifizierten Kieferhainen und Wasserfällen ausgeht, korrespondiert auf ungemütliche Weise mit der Ruhe in der ehemaligen Atom-Musterstadt Prypjat, deren Verfall Heiko Roith (*1972) in einem umfangreichen Bildessay dokumentiert, und der immateriellen, aber ständig präsenten Strahlengefahr in Fukushima, die Takashi Arai (*1978) in quecksilbrigen Daguerreotypien eingefangen hat. Die Allgegenwart der Angst thematisiert auch das Künstlerduo Fischer & el Sani mit dem Re-Enactment von Akira Kurosawas Atom-Drama „I Live in Fear”, für das die beiden mit Flüchtlingen aus Fukushima zusammen arbeiteten. Eine der eindringlichsten Arbeiten dieser Schau stammt jedoch von Trevor Paglen (*1974). Der New Yorker zeigt hier lediglich die Fotografie eines durch die Hitze der ersten Atombombenexplosion von 1945 und der Reaktorkatastrophe von 2011 zusammengeschmolzenen Glasobjekts. In Wirklichkeit ist dieser „Trinity Cube” Teil der für niemanden zugänglichen Gruppenschau „Don’t Follow the Wind”, die Paglen zusammen mit der Künstlergruppe Chim Pom im ganz real für Jahrhunderte „verlorenen” Kerngebiet von Fukushima kuratiert hat.