Noa Eshkol, Angles & Angels:

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18. August 2016
Text: Annette Hoffmann

Noa Eshkol, Angles & Angels.
Badischer KunstvereinWaldstr. 3, Karlsruhe.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 19.00 Uhr, Samstag und Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
www.badischer-kunstverein.de
Bis 11. September 2016.

In einem der letzten Räume der Ausstellung „Angles & Angels“ überrascht einen die Choreografin Noa Eshkol (1924-2007) doch ziemlich. „Alles sei emotional“, bescheidet sie am Ende einer Probe den Tänzern ihrer Chamber Dance Group. Mit Gefühlen hatte man kaum mehr gerechnet, legt der Schwerpunkt der Ausstellung im Badischen Kunstverein doch auf Eshkols Notationssystem, seiner akribischen Herleitung und seiner Nähe zur zeitgenössischen Wissenschaft. Selten gibt sich Tanz derart neutral, die Bewegungen wirken wie auf dem Reißbrett erdacht, sie sind sehr kontrolliert und kommen ohne Musik aus. Fast hätte man denken können, die israelische Choreografin würde jedes Gefühl an ihre Wandteppiche delegieren, die in Karlsruhe den gesamten großen Saal einnehmen. Man muss ein bisschen unter der Oberfläche schürfen, um die Ambiguität ihres Werkes zwischen Mathematik und Gefühl zu entschlüsseln. Dann ordnen sich ihre Arbeiten in die Kulturgeschichte ihrer Zeit und ihres Landes ein. So wie die Wandteppiche für ihre Landsleute auch eine emotionale Landkarte sind. Einerseits bezieht sich Eshkol nicht nur auf Künstler wie David Hockney, sondern eben auch auf den Jom-Kippur-Krieg, andererseits verarbeitete sie Fabrikationsreste der israelischen Textilindustrie. Der Wiedererkennungseffekt war in beiden Fällen hoch.

Noa Eshkol, die als Tochter des späteren Ministerpräsidenten Levi Eshkol aus erster Ehe im Kibbuz Degania B. auf die Welt kam, verließ mit ihrer Mutter später ihren Geburtsort. Sie studierte in Tel Aviv Musik und Tanz, ging zu Rudolf von Laban nach London, 1950 kehrte sie nach Israel zurück. Es steckt viel Zeitgeschichte in ihrem Werk. 1953 etwa choreografierte sie eine Performance in Erinnerung an den Aufstand im Warschauer Ghetto für das Kibbuz Lohamei Haghetaot und in ihrem titelgebenden Tanzstück „Angles & Angels“ zitiert sie Walter Benjamins Interpretation von Paul Klees Aquarell als Engel der Geschichte. Ihre Notationsmethode, die sie zusammen mit Avraham Wachman entwickelte, will nicht allein Choreografien dokumentieren und ihnen so eine Aufführungspraxis sichern, sie will Bewegung generieren. Zentral dafür war das Verständnis des Körpers als ein Strichmännchen in O-Position, wie sie es Mitte der 50er Jahre gezeichnet hat. Dort, wo die Gelenke sitzen, befinden sich Leerstellen. Sie stehen für die Bewegungsoptionen, die in Winkeln gemessen werden. Eshkol ging es dabei nicht allein um den Tanz, ihr Notationssystem fand auch in der Biologie Verwendung und auch das Militär meldete Interesse an. Die Choreografin war mit ihrer systematischen Erfassung in eine Richtung gegangen, die auch die Kybernetik eingeschlagen hatte. Während einer Gastprofessur an der Universität von Illinois entstanden Ende der 60er Jahre Computerausdrucke, die simultane Bewegungen mehrerer Glieder visualisieren. Sie wirken wie Fadenzeichnungen, die sich zu Flächen ausbreiten und lassen an Jorinde Voigts Kartografien denken.