Anna Boghiguian, Period of change: Figurinen auf einem Schachbrett

Anna Boghiguian
Anna Boghiguian, Time of Change, 2022, Ausstellungsansicht Kunsthaus Bregenz, Fotos: Markus Tretter, Courtesy of the artist, © Anna Boghiguian, Kunsthaus Bregenz
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19. Dezember 2022
Text: Christian Gampert

Anna Boghiguian: Period of change.
Kunsthaus Bregenz, Karl-Tizian-Platz, Bregenz.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 19. Februar 2023.
www.kunsthaus-bregenz.at

Anna Boghiguian
Anna Boghiguian, Time of Change, 2022, Ausstellungsansicht Kunsthaus Bregenz, Fotos: Markus Tretter, Courtesy of the artist, © Anna Boghiguian, Kunsthaus Bregenz
Anna Boghiguian
Anna Boghiguian, Time of Change, 2022, Ausstellungsansicht Kunsthaus Bregenz, Fotos: Markus Tretter, Courtesy of the artist, © Anna Boghiguian, Kunsthaus Bregenz

Seit sie 2015 den armenischen Pavillon bei der Biennale in Venedig gestaltete (zwei Gräber, die an den Völkermord an den Armeniern erinnern), ist Anna Boghiguian im Kunstbetrieb begehrt. Als Kind armenischer Emigranten wurde sie 1946 in Kairo geboren, wo sie noch immer lebt. Boghiguian ist ständig unterwegs – zu geschichtsträchtigen Orten in Asien und Europa. Ihre Reiseeindrücke verarbeitet sie zu Zeichnungen, Figuren und Installationen. Jetzt bekam sie im Kunsthaus Bregenz eine große Ausstellung. Die erste Installation von „Period of Change“ wirkt wie ein von oben herabhängendes Banner. Es handelt sich bei näherem Hinsehen um mehrere Tücher, die ineinander drapiert, bedruckt und bemalt sind – man sieht da vor allem demonstrierende Menschen. Daneben englische Gedichtzeilen, die Abendstimmungen beschwören und abtretende Herrscher. Anna Boghiguian, die diese Verse schreibt, hat offenbar einen eher schwärmerischen Begriff von Freiheit. Neben den Fahnen hängen ausgeschnittene, karikierte Gesichter. Man erkennt Karl Popper, Rosa Luxemburg und Platon. Platon? Merkwürdige Zusammenstellung. In einer Art Mobile sieht man zudem die Köpfe von Elfriede Jelinek, Che Guevara und Melanie Klein. Führt uns Anna Boghiguian hier ihre Privatmythologie vor? Irgendwie, auf sehr unterschiedliche Weise, haben sich diese Gestalten – in Boghi­guians Perspektive – um die Emanzipation der Menschheit verdient gemacht. Aber sie scheinen dabei versteinert zu sein – denn stilistisch erinnern diese Portraits an die maskenhaften Figuren des James Ensor. Gleichviel: die Künstlerin ist sehr mit der Geschichte von Oppositionsbewegungen beschäftigt.

Anna Boghiguian hat die meisten Exponate der Bregenzer Schau vor Ort gefertigt – und sich dabei auf die österreichische Geschichte eingelassen. Zum Teil sind das Serien von Zeichnungen, zum Teil Figuren-Ensembles, die auf ein spiegelndes Schachbrett montiert sind. Neben der hingerichteten französischen Königin Marie-Antoinette und deren Mutter Kaiserin Maria Theresia, sieht man den ermordeten Thronfolger Franz Ferdinand, Sigmund Freud, Egon Schiele, Theodor Herzl und Ludwig Wittgenstein. Ob oder wie diese Theaterfigurinen zueinander in Beziehung stehen, ist nicht ersichtlich – es sieht aber nett aus. Geschichte als Ausschneide- und Verschiebespiel. Eine Hauptrolle spielt hier der österreichische SS-Arzt Aribert Heim, dem Boghiguian auch weite Teile der Pressekonferenz widmete. Heim war im KZ Mauthausen tätig, wo er Gefangenen Gift injizierte und sadistische Operationen ohne Betäubung ausführte. Die Ägypterin Boghiguian hat einen Bezug zu Heim, weil der nach dem Krieg in Kairo untertauchte und von den Einkünften aus einem Berliner Mietshaus lebte. Boghiguians Empörung über den 1992 gestorbenen Heim ist verständlich – allein: die Figurine auf dem Schachbrett, vor einem Patienten mit aufgeschnittenem Unterleib, ist ebenso plakativ wie die anderen Gestalten.

Auch die Zeichnungen von Boghiguian – Serien über die Französische und die Russische Revolution und über den aufkommenden Faschismus – wirken wie schnell hingeworfene Momentaufnahmen, die zwischen naiver Kunst und ausgebuffter Karikatur schwanken und sich im besten Fall zu ironischen Geschichts-Comics oder Graphic Novels fügen. Bei Boghiguian führt ein direkter Weg von Zar Peter dem Großen zu Wladimir Putin, die auf einem Bild gemeinsam im Baltischen Meer baden und von einem sehr alten 500-Rubel-Schein umspült werden… Die meisten von Boghiguians Werken sind nebenbei auch Wortarbeiten: obsessiv schreibt sie in die Bilder ihre Kommentare zum Weltgeschehen ein. Das wirkt oft beliebig, ein ständig strömender Gedankenfluss. Die lakonischste Arbeit dann im letzten Saal: über einer runden Spiegelfläche schwebt das Modell einer Guillotine; eine Discokugel wirft buntes Licht, aus den Lautsprechern kommen Musik und agitatorische Texte. Die Politik aber ist keine Disco mit Fallbeil, und Boghiguians Texte und Zeichnungen sind leider nur sehr allgemeine Klagegesänge über die misslingende Weltgeschichte. Eine überzeugende Erzählung bilden sie nicht.