Tanzbilder: In Raum und Zeit

Thema
10. Juni 2019
Text: Annette Hoffmann

Neues Museum Nürnberg, Klarissenplatz, Nürnberg.
Bis 30. Juni 2019.
Die Reihe „Tanzbilder“ wird mit Arbeitenvon Ulrike Rosenbach und Miranda Pennel fortgesetzt.

1978, als die Videoarbeit „Merce by Merce by Paik“ entstand, war der Tänzer und Choreograf Merce Cunningham bereits 59 Jahre alt. Es wäre ungerecht, zu denken, der US-amerikanische Künstler hätte mit der Kraft der bewegten Bilder seine nachlassende Sprungkraft und Physis kompensiert. Auch in früheren Jahren seiner Karriere interessierte sich der Tänzer für die reine Bewegung, frei von allem narrativem und psychologischem Beiwerk. Tanz sei Bewegung in Zeit und Raum, war seine Auffassung. Cunningham (1919-2009) emanzipierte die Bewegung von der Musik. Tanz und Komposition sollten in seinen Choreografien lediglich ein Nebeneinander führen und er öffnete sie gegenüber dem Alltag. Insofern ist es programmatisch, dass der zweite Teil des gut halbstündigen Videos sich Marcel Duchamp und Cunningham widmet, denn beide verband eine unprätentiöse Vorstellung von Kunst.

Wenn nun das Neue Museum Nürnberg „Merce by Merce by Paik“ anlässlich des 100. Geburtstages des Tänzers in der Reihe „Tanzbilder“ zeigt, kommt dies auch zu einem Zeitpunkt, in dem Tanzvideos als eigenständige Kunstform wiederentdeckt werden. Das von Nam June Paik produzierte Video, das als eines der ersten gilt, in dem Tanz als autonome Kunstform dargestellt wurde, ist von Charles Atlas’ Ästhetik geprägt. Man sieht charakteristische Figuren von Cunningham, die zwar noch deutlich von Posen des klassischen Balletts geprägt sind, die aber auch wie Übungen aussehen, Arme, Beine und Oberkörper jenseits der traditionellen Kodifizierung zu bewegen. So sind Sequenzen aus Martial-Arts-Filmen eingefügt wie die eines krabbelnden Babys und Folkloredarbietungen. „Is this dance? Yes. Maybe. Why not“ ist oft eingeblendet, damit sich der Betrachter selbst einen Reim drauf machen kann.

„Merce by Merce by Paik“ feiert aber auch eine Kunstszene mit hoher Durchlässigkeit. Immer wieder sind Gesprächsfetzen von Cunninghams Lebens- und Arbeitspartner John Cage zu hören, der sich mit Robert Rauschenberg und Jasper Johns zum gemeinsamen Diner verabredet. Während Nam June Paiks Video auf diesem Zusammenschluss der Avantgarde beruht, stehen heutigen Tanzfilmemachern ein technisches Equipment zur Verfügung, das unabhängig, aber oft auch ein wenig solipsistisch macht. Tanz als Bewegung in der Zeit findet bei „Merce by Merce by Paik“ in einem gegenüber der Bühne erweiterten Raum statt. So sieht man Cunningham in unterschiedlichen Trikots in einer Blue Box, die verschieden eingefärbt ist, dann wieder wird er überlagert von seinem Alter Ego, einer Equipe oder einem Hund, und oft gegenläufig mit einer Autofahrt, die an der Küste entlang führt. Jenseits der dreidimensionalen Bühne fanden diese Künstler einen Kosmos an Möglichkeiten.