Rebecca Horn: Körperphantasien.
Museum Tinguely, Paul-Sacher-Anlage 1, Basel.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 22. September 2019.
Rebecca Horn: Théâtre des métamorphoses.
Centre Pompidou Metz, 1, Parvis des Droits de l’Homme, Metz.
Bis 13. Januar 2020.
Das Museum Tinguely in Basel und das Centre Pompidou-Metz widmen der deutschen Künstlerin Rebecca Horn (*1944) eine Ausstellung mit jeweils ergänzenden Aspekten. Während in Metz mit dem „Theater der Metamorphosen“ das filmische Werk im Fokus steht, zeigt Basel, mit „Körperphantasien“ die Verwandlungen von Mensch und Maschine. Gegliedert in vier Themen – Flügel schlagen, Zirkulieren, Einschreiben und Tasten – hat die Kuratorin Sandra Reimann frühe Arbeiten jüngsten Erzeugnissen gegenübergestellt. So werden zeitübergreifende Inhalte des vielschichtigen Oeuvres, in kinetischen Objekten, Filmen, Texten, Rauminstallationen und Zeichnungen sichtbar.
Seit nunmehr fünf Dekaden hat die bedeutende Künstlerin mit ihren ikonischen Arbeiten die Kunst revolutioniert. Schon 1972 fand sie als jüngste Teilnehmerin an der documenta internationale Beachtung. Seither begleiten zahlreiche Preise ihr multimediales Schaffen. In der Schweiz war sie seit über dreissig Jahren nur mit vereinzelten Werken zu sehen.
Was macht das Werk dieser Künstlerin so eindrücklich? Ist es die Mischung aus zarter Poesie und kalkulierter Präzision? Oder sind es Sehnsüchte nach Freiheit, mythischen Parallelwelten, der Lust nach Schmerz in Verbindung mit Schönheit, die hier tangiert werden? Die Feinmechanik der Apparaturen appelliert an die Ratio, während Gebärde, Klang und Erscheinung Emotionen provozieren. Wenn Federnkostüme und Pinsel sich in Zeitlupe in Bewegung setzen, Damenschuhe ein aggressives Stakkato tanzen, dissonante Geigentöne laut werden und gefährlich spitze Stäbe sich zum Rund öffnen, entstehen magische Momente, die das Nervenkostüm in Schwingung versetzen.
Die Anfänge des Werks sind aus der Verletzlichkeit des Körpers geboren. In jungen Jahren hatte die Arbeit mit Polyester Horns Lunge verätzt und sie ein Jahr ans Bett gebunden. Im Sanatorium wird das Zeichnen zur Flucht aus der Einsamkeit und der Einschränkung des Körpers. Aus der erzwungen Ruhe entstehen Ideen zu ersten Körperskulpturen in Verbindung mit späteren Performances. Der Traum von Schwerelosigkeit erhält Gestalt in grossen Flügeln, Kopfaufsätze oder tentakelähnliche Verlängerungen der Extremitäten erweitern den eingeschränkten Körper. Jede Kunstaktion wird nur einmal aufgeführt. Filmisch festgehalten, sind die kostbaren Ereignisse auf Videos und Fotografien erlebbar.
Aus ganz unterschiedlichen Quellen speist sich das Werk von Horn: Duchamp, Alfred Jarry, Raymond Roussel, Emily Dickinson und Buster Keaton inspirieren sie. Wenn sich beim Witwenfächer (1975) die dunklen Federn schützend um den nackten Körper legen treffen Verwandlung und Mythologie zusammen. Die Absenz des Körpers ist in der „Pfauenmaschine“ (1979/80) eingeschrieben. Mit feinem Rauschen öffnet sich der Fächer aus weissen Federn zum Halbkreis – Majestätisches und Mechanisches verbinden hier sich zur geheimnisvollen Gebärde. Die Arbeit, zunächst als Requisit für den Film „La Ferdinanda“ entwickelt, hat sich zur autonomen Plastik verselbstständigt, erweitert durch alchemistische Elemente. Bedrohlich wirkt die „Pencil Mask“ von 1972, eine Vorrichtung für das Gesicht mit fünf Zentimeter langen spitzen Bleistiften. Durch rhythmisches Bewegen des Kopfes wird ein schmerzhafter Zeichnungsprozess in Gang gesetzt, der in der Betrachtung fast körperlich spürbar wird.
Humorvoll ironisch oder bedrohlich aggressiv, doch voller Rätsel und hintergründiger Sanftheit sind die mechanischen Wesenheiten von Rebecca Horn. In der Fragilität des Ausdrucks spiegelt sich die Unzulänglichkeit des Körpers, mit ihrer geheimnisvollen Erscheinung evozieren sie Fantasie und Träume. Subtil rühren die poetischen Apparaturen an der Sehnsucht nach Verwandlung und machen die Endlichkeit des Daseins mit schmerzhafter Eindringlichkeit bewusst.