Von Ferne. Bilder zur DDR: Vom Mehltaubefall zum Mauerfall

Review > München > Museum Villa Stuck
22. August 2019
Text: Roberta De Righi

Von Ferne. Bilder zur DDR.
Museum Villa Stuck, Prinzregentenstr. 60, München.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, am ersten Freitag im Monat bis 22.00 Uhr.
Bis 15. September 2019.

www.villastuck.de

Bespitzelung, Eingesperrtsein, Mangelverwaltung. Stichworte wie diese kommen einem in den Sinn, wenn man – rund 30 Jahre nach ihrem Ende – an die DDR denkt. Doch für jene, die zufällig hinter dem Eisernen Vorhang lebten, war die Deutsche Demokratische Republik trotz aller ideologischer und ökonomischer Einschränkungen vor allem eines: Alltag. Die Ausstellung „Von Ferne. Bilder zur DDR“ im Münchner Museum Villa Stuck macht nun anhand der Arbeiten von 18 Künstlerinnen und Künstlern das Banale und Besondere der DDR sichtbar. Antrieb für diese Schau ist dabei keineswegs eine Ost-Nostalgie, sondern die Idee, durch Zusammenführung individueller Eindrücke und Erinnerungen ein fragmentiertes Bild ostdeutscher Wirklichkeit zusammenzusetzen, das nicht komplett durch die Wende-Brille eingefärbt ist.

Wie trügerisch Fotografien sein können und wie täuschbar das Bildgedächtnis, wird hier gleich zu Beginn vor Augen geführt: Sven Johnes Foto-Installation „Kleistners Archiv“ erzählt in zwei Schaukästen à 120 Bildern die tragische Biografie Alfred Kleistners nach. Der Mediziner schwamm sich von Warnemünde über die Ostsee in den Westen frei, um später – zermürbt vom Kapitalismus – Selbstmord zu begehen. Doch was zunächst detailliert dokumentarisch wirkt, stellt sich als reine Fiktion heraus. Alfred Kleistner hat es nie gegeben, er ist aber das Kondensat aus vielen realen Flucht-Geschichten. Authentisch sind indes die Erinnerungen von Seiichi Furuya in seiner Dia-Installation „Mémoires“. Der Fotograf zog mit seiner österreichischen Frau Christine 1984 zunächst nach Leipzig, später nach Berlin, wo er für einen japanischen Baukonzern arbeitete. Die Lichtbilder zeigen die DDR eher beiläufig neben intimen, schmerzhaft elegischen Bilder seiner Frau und des gemeinsamen Sohnes. Bei Christine wurde 1982 Schizophrenie diagnostiziert. 1985 starb sie nach einem zweiten Suizidversuch. Sehr persönlich sind auch die Aufnahmen von Tina Bara. In ihrem Foto- und Video-Essay über eine wilde Zeit zwischen Tagtraum, Resignation und Rebellion porträtiert die Leipziger Künstlerin den engen Freiraum des Privaten, ihre Freunde und Weggefährten darin – Titel: „Lange Weile“. Die Wandarbeit „Lange Liste 79-97“ hingegen stammt von dem Grafiker Christian Lange. Das familiäre Found-Footage-Material umfasst neun Jahre der akribischen Haushaltsbuchführung seiner Mutter. Wiederum ein authentisches Alltags-Dokument der DDR, in der Einweckringe 1,75, Plauener Spitzdecken 6,50 und „Schallplatte und 3 x Rotwein für Vati zum Geburtstag“ 60 Mark kosteten.

Erasmus Schröters Serien präsentieren das ganze Spektrum sozialistischer Bautätigkeit vom Pflanz-Kübel über pathetische Monumente bis zur öden Plattensiedlung, aber auch außergewöhnliche Bauwerke wie die des Ingenieur-Architekten Ulrich Müther. Da glimmt mitunter Fortschrittsglaube und Zukunftshoffnung im Bild auf. Der wird bei Ulrich Wüst und Andreas Trogisch jedoch sofort zunichte gemacht. Letzterer nahm verhüllte Trabbis und leere Hotels einer „langsam in Agonie versinkenden DDR“ auf, „in der das Leben doch bemerkenswert normal war“. Wüst hielt unter dem Titel „Toter Raum“ eine Art Zeit-Vakuum fest: Ein Straßenzug in Halle wirkt 1978 wie aus dem vorletzten Jahrhundert, und auf dem menschenleeren Bahnsteig im mecklenburgischen Sülstorf hat man schon 1984 den Eindruck, die Zeit sei exakt um 16.15 Uhr stehen geblieben.

„Vorsicht bei Rübenblatt mit Mehltaubefall!“ warnte das „Deutsche Bauern­echo“ lange vorher, aus dem Ulrich Wüst einige der schönsten Schlagzeilen zum Stilblüten-Leporello kompensiert hat. Vom Mehltaubefall zum Mauerfall – man sollte am Ende dieser Ausstellung aber nicht den Fehler machen, die Zeitläufte quasi im Rückspiegel zu lesen. „Von Ferne. Bilder der DDR“ lässt auch das Quäntchen „Surrealität“ erkennen, das dem real existierenden Sozialismus und seinem Ende eingeschrieben ist.