Corona Studios II: Cristina Ohlmer

Cristina Ohlmer, Rose, Detail, 2020, courtesy the artist
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13. März 2021
Text: Cristina Ohlmer

Cristina Ohlmer, *1960 Varese, lebt und arbeitet in Freiburg.
www.cristinaohlmer.de

Aktuell sind Werke der Künstlerin in der Ausstellung „Über weitem Himmel“ in der Galerie Anja Knoess, Köln, zu sehen.

Cristina Ohlmers Beitrag Corona Studios I vom 6. Juni 2020 finden Sie hier.

Cristina Ohlmer, Screensaver, 2021, courtesy the artist
Cristina Ohlmer, Tropea Moon, 2021, courtesy the artist

Während der Atelierarbeit mit (Hinter)Glaszeichnungen und ihrer Kombination in installative Zusammenhänge (Serie „Beyond Transparency“) ist unter anderen die „Rose“ entstanden. Hier bietet die monochrom durchleuchtete grüne 10 mm starke Glasscheibe einer – im Gegensatz zu ihr ‒ mit rotem Tuschelack behandelten hauchdünnen Scheibe  ein Gegenüber, das sinnlich und poetisch, gleichwohl ungegenständlich ‒  mit ihrem Titel als Rose betrachtet werden kann.

Die Serie „Home Tales from Abroad“ ist auf lichtem Birkenholz gemalt. Vielschichtige Farblasuren und eine mit Goldfarbe darübergelegte Patina schaffen Reflexion und Transparenz. Ein Farbraum für Ikonen, die wir aus der Sakralkunst kennen.

Die darauf erscheinenden Objekte sind einfache Dinge aus Museumsshops: „Screensaver“ zeigt einen hölzernen Roboter, nach einem Ausstellungsbesuch „JAPANORMA“ im Centre Pompidou Metz aus dem Shop mitgenommen. Seither spielt er zu Hause eine große Rolle. Er ist flexibel, ein Fantast, aber vor allem Dingen schwer erziehbar…

„Tropea Moon“ ist Teil der Serie „Home Tales from Abroad“. Vor einem düster schimmernden Gold, eine Designerlampe aus dem Museumsshop Saint Louis. Die eingepflanzte Tropea Zwiebel, die rot-süße Spezialität der Lombardei, ist nach dem letzten Italienbesuch hier gelandet. Die Gegenstände im Zimmer sind Stellvertreter einer weiten Welt – mit Eigenleben, Erinnerung und Souvenir.



Acht Fragen an Cristina Ohlmer

Hast Du staatliche Hilfe beantragt? Wurde sie bewilligt?
Die Nachricht der staatlichen Hilfe, auch für die Kunstszene, erstaunte als ein erstmaliges Phänomen in unserer  Geschichte. Es machte mir wieder bewusst, dass die freischaffende Künstlerlaufbahn die Erfahrung mit sich bringt, eigenverantwortlich für seine Sache einstehen zu müssen. Ansprüche stellen? Arbeit aus einer inneren Überzeugung heraus, meist widrigen Umständen zum Trotz, wie auch immer, ist unser „Grundeinkommen“. Eine Kuratorin widersprach meinem Vorbehalt: in diesem Spezialfall sollten wir eine Unterstützung annehmen und heute freue ich mich über diese sehr persönliche Teilnahme. Der dann mittlerweile wegen Missbrauch stark bürokratisierte Antrag für Solo Selbständige war ein kafkaeskes Unterfangen. Habe tatsächlich Hilfe erhalten, wie es Kollegen  in anderen Teilen der Welt niemals erfahren und bin sehr dankbar: ich sehe die große Not auch an anderer Stelle.

Gab es ausgefallene oder verschobene  Ausstellungen, Veranstaltungen, Stipendien, Jobs, Reisen, gab es Verkäufe?
Es gab alles: ausgefallen und /oder verschoben und neu entwickelt: 
Ausfall/verschoben: z.B. ein Projekt im Rahmen einer musealen Retrospektive einer bereits verstorbenen Künstlerin, Veranstaltungen zum Hölderlin Jubiläum, eine Filmpremiere und wenige Verkäufe.
Anders: Sehr schade, dass ein Filmprojekt im November in Taiwan „7 MOMENTS OF OBLIVION“ absolut utopisch wurde. Wir haben unseren Script umgeschrieben ‒ flexibel reagiert: Kammerspiel statt ferner Exotik. Ich gebe zu: früher, frech und frei ist und bleibt mir lieber… Um meinen Job teilweise zu retten: Für den Kunstunterricht mit dem Vorstudium an der Kunstschule verhandelte ich über Alternativen, als die Ankündigung der totalen Schließung bekannt wurde: mein Vorschlag für Online-Unterricht klang nach neuen Möglichkeiten und ging in die Testphase. „Digitalisierung“ ‒ nur mehr zu zweit führten wir diese junge Gruppe zu ihrem wichtigen Abschluss während die Kunstschule unter Zwangspause stand. Motivierend: filmische Anleitungen als Variante zum  Präsenzunterricht produzieren ‒ neue Formate hat der Lockdown tatsächlich herausgefordert, sofern man erfinderisch agierte – mein Online Credo: den Zeichenunterricht nicht durch netzbedingte Theoriestunden ersetzen, sondern im Verbund über  Kamera/Mikrofon mit Stift und Pinsel in der Praxis arbeiten und alsdann kritisch analysieren.

Hat sich Deine Arbeit während des letzten Jahres verändert?
Meine Arbeit verändert sich sowieso wie eine Kompassnadel, die Magnetfelder ortet. Die Pandemie: Zufall oder Konsequenz? Dystopische Beobachtungen, Gefühlsmutanten, Lebens Wandel…sicher fließt etwas davon hinein, aber nicht im Sinne einer „Um Programmierung“. Vielleicht ein Zustand…

Der dritte Experimental Kurzfilm (mit art vs. film, s.o.) musste sich dem Einreiseverbot nach Asien fügen. Wir haben alternativ vor dem verschärften November-Lockdown doch den zweiten Teil in Italien abgedreht ‒ die Straßen/Lokalszenen gestrichen, wegen Maskenmenschen. Eine interessante Entwicklung. Was ist besser?

Die Lust zu Malen kam auf einmal: Nach monatelanger meditativer Versenkung in Miniaturen für den Illustrationsauftrag  einer Märchenforscherin. Sie bereitete ihre Publikation „Wie zur Nachtigall die Liebeslieder…“ vor, eine erste deutsche Übersetzung der Ghasale (Liebeslyrik) des berühmtesten usbekischen Dichters und Denkers Navoiy ‒ dessen Jubiläum nun 2021 gefeiert wird.

Wie hast Du Solidarität erfahren?
Plötzlich gab es ein Alle betreffendes Übel und damit eine neue Form der Solidarität. Speziell von privater Seite: unerwartet fragten Menschen nach, da sie um das Künstlerschicksal bangten… wollten in eigener Sache helfen. Eine unvergesslich gute Erfahrung. Im engeren Kunstkreis mit Kuratoren, Institutionen, usw. entwickelte sich ein „kreativer“  Zusammenhalt, um sichtbar und produktiv zu bleiben. Das entspricht der künstlerischen Ader sowieso.


Welchen Einfluss hat der langfristige Lockdown auf den Austausch mit anderen?
Selektiver und dort intensiviert. Entschleunigt und  konzentriert, weniger gemeinsam geteilte Lebensfreude. Freundschaftliche Ausflüge zu interessanten Ausstellungen, Kino, Konzert, Lesung, Theater… totales MISS YOU.

Was macht das mit der Kunstszene?
Wir sind noch nicht soweit, das Ausmaß der Veränderungen überschauen zu können. Die Szene benötigt lange Planungsphasen, derzeit verunsichert. Die Kunstszene sucht das Original als Gegenüber, um Werte sinnlich erfahrbar zu machen. Digitalisierung klaut das Unmittelbare und ersetzt Wahrhaftigkeit in virtuelle Vorstellungen. Aktuell versucht man mit ihr „neue Fenster in eine andere Realität“ anzubieten – wenn man es will … wenn es denn keine Zuversicht mehr gäbe …

Die Kultur war schnell und hart betroffen und ist es nach wie vor, bislang unabsehbar. Wie hätte ein anderer Umgang mit Kunstschaffenden aussehen können?
Künstler werden oftmals nicht in der Komplexität ihres Denkens und Produzierens erkannt. Künstler sind Beobachter der Welt, sehen weit dahinter und voraus. In der Geschichte gibt es genug Beweise dafür. Man sollte ihre Vorgehensweise exemplarisch auch auf andere Bereiche übertragen. Man sollte ihren Fähigkeiten vertrauen und unerwartete Lösungsvorschläge zulassen – auch außerhalb des Kunstkontextes (in ihren Augen gibt es kein Außerhalb – alles immer inbegriffen). Sie können verwundern, aber sinnfällig. Künstler sind insofern gesellschaftlich relevant, als sie sich einer speziellen „Zauberkunst der Seelenpflege“ verpflichtet haben.

Wie soll es nach der Krise weiter gehen, was muss anders werden?
Das kann ich nicht sagen. Die Frage erinnert mich an den surrealistischen Film „Otto e mezzo“ von Fellini. Der Film ist vor mehr als einem halben Jahrhundert gedreht. Als Film im Film zeigt Fellini einen Regisseur, dem bei seinem Achteinhalbten Film die Inspiration ausgeht, bzw. der sich von den Anforderungen seines Umfelds unentrinnbar bedrängt fühlt…, aber die Produktion läuft schon auf Hochtouren. Vor die Frage gestellt, sagt er: „Ich wollte einen einfachen, ehrlichen Film, und jetzt herrscht in meinem Kopf die größte Verwirrung“. In einer Privataudienz mit einem Kardinal beklagt er sein unglückliches Schicksal, worauf dieser erwidert: Glücklich zu sein, sei nicht seine Aufgabe. Aber nach Traum, Chaos, Zirkus und Traumata flüstert der Regisseur: Das Leben ist ein Fest, lass es uns gemeinsam erleben…





Corona Studios II ist ein Projekt der Redaktion artline.org,
ermöglicht dank großzügiger Unterstützung vom Kulturamt der Stadt Freiburg