Zwischen privat und öffentlich: Walls / Wände

Ulay und Marina Abramovic, Expansion in Space, 1977, © Ulay and Marina Abramovic, © VG Bild-Kunst, Bonn 2020
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14. März 2021
Text: Birgit Wiesenhütter

Wände/Walls.
Kunstmuseum Stuttgart, Kleiner Schlossplatz 1, Stuttgart.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Freitag 10.00 bis 21.00 Uhr.
Bis 30. Mai 2021.

www.kunstmuseum-stuttgart.de

Klaus Rinke, Primärdemonstrationen. Wand, Boden, Ecke, Raum, 1969-70, © Klaus Rinke
Klaus Rinke, Primärdemonstrationen. Wand, Boden, Ecke, Raum, 1969-70, © Klaus Rinke
Maurizio Cattelan Untitled, 2007, Installationsansicht Kunstmuseum Stuttgart, Foto: Gerald Ulmann, Courtesy Maurizio Cattelan’s Archive
Hall of Fame Züblin-Parkhaus, 2017, Foto: anonym

Buchstäblich „mit dem Kopf durch die Wand“ ist im Kubus des Kunstmuseum Stuttgart ein Pferd durchgegangen: eine Arbeit vom Provokateur der Kunstwelt, Maurizio Cattelan (*1960). Das absurde Bild, hoch über den Köpfen der Zuschauer, thematisiert die Wand humorvoll-ironisch als Grenze, die uns gesetzt ist, wie auch als Ausstellungsfläche. Damit sind bereits zwei Aspekte benannt, die die 30 Werke aus dem Zeitraum von 1966 bis heute in der Ausstellung „Wände ǀ Walls“ im Kunstmuseum Stuttgart thematisieren.

„Die Wände hoch gehen“, „den Teufel an die Wand malen“ – vielfältig hat sich die Wand in unsere Sprache, unser Denken und Fühlen eingeschrieben. Die Wand ist ein höchst ambivalentes, tief in unserer Kultur verwurzeltes Element. Sie ist unser Gegenüber, gibt Schutz, Sicherheit, Geborgenheit und ist zugleich Beschränkung. Die Wand rückt hier als eigenständiges, zu analysierendes Objekt des Raums in den Fokus. In seiner Arbeit „Body Pressure“ (1974) gibt Bruce Nauman (*1941) uns auf rosa Papier gedruckte Anweisungen, wie Körper und Wand in Kontakt treten sollen. Man wird sich dabei ebenso der Wand wie des eigenen Körpers bewusst. Seine letzte Bemerkung: „This may become a very erotic exercise“. Weniger erotisch, aber hintersinnig ist die Auseinandersetzung des Künstler-Duos Elmgreen & Dragset (*1961/*1969) mit der Wand des White Cubes, dieser vorgeblich neutralen Ausstellungsumgebung. Als Bilder gerahmt hängen die obersten Schichten von Museumswänden nebeneinander. Sind sie nun alle gleich und neutral? Beschränkungen, die uns Wände auch im übertragenen Sinne auferlegen, werden dagegen in manchen Arbeiten vehement angegangen, in der performativen Arbeit von Ulay und Abramović („Expansion in Space“, 1977) sogar schmerzhaft. Was privat ist, und was öffentlich, wird durch Wände getrennt. Die iranische Künstlerin Parastou Forouhar (*1962) spricht mit einer ornamental-dekorativen Wandtapete zunächst das Heimelige und Beschützende der vier Wände an, um bei genauerem Hinsehen mit Anspielungen auf Sexualpraktiken darauf hinzuweisen, dass im Schutz dieser Wände auch Gewalt und Erniedrigung stattfinden. Die „Drains“ von Robert Gober (*1954) zielen in eine ähnliche Richtung. Was den Eindruck von Ordnung und Reinheit stört, wird in einer Art Verdrängungsmechanismus oder seelischen Hygienemaßnahme im Abfluss in der Wand weggespült und damit tabuisiert. Die Arbeit „Telephone in Maze“ von Yoko Ono (*1933) lässt öffentlichen und privaten Raum ineinander aufgehen. Ein transparentes Labyrinth führt den Besucher zu einem Telefon. Während der Laufzeit der Ausstellung klingelt es einmal – wer abnimmt, spricht mit Yoko Ono. Aus heutiger Sicht scheint die Arbeit geradezu visionär in Bezug auf unsere Möglichkeiten im Internet. Unser privater Raum wird transparent, die Hürden, wirklich miteinander in Verbindung zu treten, bleiben bestehen. Transparenz und Offenheit stehen Kontrolle und Manipulation gegenüber.

Der Außenraum wird im Kunstmuseum nicht vergessen, aber folgerichtig auch außen abgehandelt. An der Glasfront des Museums sprengt ein Werk des Hamburger Graffitikünstlers Markus Reiser (*1971) geradezu die Fassade und öffnet das Museum in den Stadtraum, wo gegenüber im Museum StadtPalais die Ausstellung „Graffiti im Kessel“ präsentiert wird. Graffiti als urbanes Phänomen im öffentlichen Raum ist der rote Faden, der auch die dritte Aktionsstätte in Stuttgart verbindet: im Bonatzbau, dem Hauptbahnhofsgebäude, macht bereits seit August die Secret Walls Gallery Furore. Bevor sie im Herbst der Generalsanierung weichen muss, wird hier Graffitikunst von über 70 Künstlern gezeigt – mittendrin im städtischen Leben und von den Passanten direkt mit vielen Selfies vor den Wänden goutiert.

Kuratorin Anne Vieth hat eine stimmige Werkauswahl getroffen, die unserem Blick auf die Wand verändert. Vielleicht ist es allerdings ein bisschen so, wie es Lawrence Weiner in seiner Wandarbeit benennt: „OVER THE WALL & IN FRONT OF THE NEXT“ – wenn man die eine Wand überwunden hat, steht man vor der nächsten.

[Birgit Wiesenhütter]