Yoshitomo Nara.
Museum Frieder Burda, Lichtentaler Allee 8b, Baden-Baden.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 27. April 2025.
www.museum-frieder-burda.de
Wie Nebelschwaden ziehen die Gitarrenriffs durch die Halle im Museum Frieder Burda, Songfetzen von Nirvana, Iggy Pop, Bob Dylan, Nick Cave. Sie dringen aus einer windschiefen Holzhütte mitten im Raum. Hinter einem großen Fenster balancieren im Innern Puppen und Spielzeugtiere auf schmalen Regalen, der Boden ist übersät mit Zeichnungen von grimmigen, bockigen, traurigen Mädchen – willkommen im „Drawing Room“ von Yoshitomo Nara. Dass der scheue 65-Jährige, der gerne in Hoodie, Jeans und Band-T-Shirt auftritt, momentan der teuerste Künstler Japans ist, lassen seine Bilder auf den ersten Blick nicht unbedingt vermuten. Dass Menschen den starken Wunsch verspüren, sich mit ihnen zu umgeben, schon eher. In ihrer plakativen Emotionalität sind sie große Trostspender, Traumfänger und Trotzverstärker mit einem bemerkenswerten Talent, ihr Publikum Empathie zu lehren.
Wie wenig sie dafür brauchen – und auch wie ökonomisch Nara seine Mittel dafür einsetzt –, zeigen in Baden-Baden schon die frühen „Angry Girls“, die Anfang der 1990er Jahre, während in den USA die Riot Grrl-Bewegung Furore machte, zum Markenzeichen des Künstlers wurden. Inspiriert von der Anatomie japanischer Manga-Figuren und ausgestattet mit den Niedlichkeits-Codes der „Kawaii“-Popkultur, entführen Naras Mädchen in milchig abgetönten Farben an die Wiege der Rebellion, ins Kinderzimmer. Auf „Missing in Action“ von 1999 etwa posiert eines von ihnen in rotem Kleid wie in einer Uniform der Unschuld. Der Hintergrund verschwimmt in schmutzigem Weiß, kreidig und trocken. Unter der braven Helmfrisur fixieren zwei übergroße Augen das Gegenüber – nicht böse, eher abwartend, verhalten aggressiv. Der leicht geneigte Kopf und die Hand, die das Mädchen hinter seinem Rücken versteckt, lassen nichts Gutes erahnen.
Bis heute ist der latente Horror in Naras Bildern allgegenwärtig, auch wenn die Wut in den letzten Jahren einer stillen Melancholie gewichen ist. „Die Bilder, die ich male, sind das Ergebnis meiner Dialoge mit mir selbst“, sagt Nara. Seine Kindheit beschreibt er als einsam, unbehelligt von seinen berufstätigen Eltern, „ich fühlte mich total frei – und verlassen“. In einer Kleinstadt im Norden Japans aufgewachsen, zog er Ende der 1980er Jahre nach Düsseldorf und begann ein Malereistudium an der Kunstakademie. Sein Lehrer A.R. Penck, Autodidakt mit Hang zu grob stilisierten Figuren, ermunterte ihn, sich auf das Zeichnerische in seinen Bildern zu konzentrieren. In Baden-Baden ist schön zu sehen, welche Direktheit seine Figuren in den folgenden Jahren entwickeln. Er reduziert das Personal radikal, bis nur noch eine Figur pro Bild übrig bleibt, jeder Geschichte entrückt und ohne Halt vor monochromem Grund. Die formelhaften Gesichter wirken zunächst unpersönlich, doch Nara stattet sie mit kleinen Gesten aus, die sie unerwartet nahbar machen: vom schmallippigen Trotzmund über den hämisch Schulterblick bis hin zu den schillernden Tränen in Augenwinkeln, in denen sich die Flammen aktueller Katastrophen und Kriege spiegeln.
Tatsächlich bedeutete das Reaktorunglück von Fukushima 2011 für Yoshitomo Nara eine tiefe Zäsur und er hörte auf zu arbeiten. Als er sich nach zweijähriger Schaffenkrise dann endlich wieder ans Malen machte, standen die einst wütenden Mädchen auf seinen Bildern nun meist regungslos bis zum Bauch im Wasser, warteten mit geschlossenen Augen im Dunkeln oder lagen im Bett, die leeren Augen ins Nichts gerichtet. Dass sie sich in jüngerer Zeit verstärkt wieder an ihren rebellischen Geist der Neunziger erinnern, hat für Nara viel mit dem gegenwärtigen Zustand der Welt zu tun. In einer Serie von 2019 tragen die Mädchen T-Shirts mit Slogans wie „No War“ und „Stop The Bombs“. Bei den Besuchern in Baden-Baden gehören sie zu den meist fotografierten Motiven, und auch im Museumsshop muss ihr Postkartenfach immer wieder nachgefüllt werden. Über die Vielschichtigkeit der Malerei von Yoshitomo Nara und über sein Gespür für prekäre Zustände zwischen Wut, Trauer und Zuversicht erzählen diese Slogans allerdings nur wenig.