Barry Le Va, In a State of Flux: Improvisationen für Gurte, Beile, Glas und Vorschlaghammer

Le Va Liechtenstein
Barry Le Va, Cleaved Wall, 1969-1970, Foto: Sandra Maier, © Estate of Barry Le Va, David Nolan Gallery, New York
Review > Vaduz > Kunstmuseum Liechtenstein
26. August 2024
Text: Dietrich Roeschmann

Barry Le Va: In a State of Flux.
Kunstmuseum Liechtenstein, Städtle 32, Vaduz.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 29. September 2024.
www.kunstmuseum.li

Le Va Liechtenstein
Barry Le Va, On Center Shatter-or-Shatterscatter (Within the Series of Layered Pattern Acts), 1968-1971. Foto: Sandra Maier, © Estate of Barry Le Va, David Nolan Gallery, New York
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Barry Le Va, Tangle II (Double Join), 1968, Foto: Sandra Maier, © Estate of Barry Le Va, David Nolan Gallery, New York
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Barry Le Va, Untitled Silver, 1984, Diagrammatic Silhouettes,1987, Bunker Coagulation, 1995-2005, Foto: Sandra Maier, © Estate of Barry Le Va, David Nolan Gallery, New York

Was ist passiert? Wie kamen all die Dinge an diesen Ort und wer hat sie aus welchem Grund so arrangiert, wie wir sie hier vorfinden? Für den US-Amerikaner Barry Le Va (1941-2021) war Kunst immer auch eine Frage des Spurenlegens und des Spurenlesens. Sein Faible für Krimis war legendär, und vielleicht sind seine Arbeiten deshalb so zugänglich, obwohl sie zunächst eher Distanz schaffen mit ihrem spröden Look und dieser introvertierten Divenhaftigkeit des Minimalismus der Spätsechziger, die sie bis heute umweht. Doch der Eindruck täuscht. Tatsächlich wollen Le Vas Arbeiten verstanden werden. Sie wollen ihren Plot preisgeben und erzählen, wie eines zum anderen kam, Schritt für Schritt genau geplant und sorgfältig ausgeführt. Zu dieser Sorgfalt gehörte für Barry Le Va sowohl dem Zufall Raum zu geben und ihn auf Augenhöhe mitarbeiten zu lassen als auch die Kontrolle abzugeben: an das Material, die äußeren Umstände, das Nachlassen der Kräfte, den eigenen Tod – und schließlich auch an die Menschen, die seine Arbeiten seither realisieren.

Schön zu sehen ist das bei den zerstörten Glasarbeiten der Werkgruppe „On Center Shatter-or-Shatterscatter“, mit denen sich Le Va früh einen Namen machte. In der ersten großen Retrospektive seit seinem Tod vor drei Jahren liegen gleich mehrere davon auf dem Boden im Kunstmuseum Liechtenstein, als paradoxe Bilder für die Desintegration eines Objekts durch akute Gewalt – in diesem Fall einen Hammerschlag – bei der gleichzeitigen Herstellung einer neuen Integrität, nämlich des Zustands einer zersplitterten Existenz, behutsam bedeckt von einer unversehrten Scheibe. Wie so oft bei der Prozesskunst ist die Pflege und Rekonstruktion solcher Zustände eine Herausforderung für Konservator:innen und Kurator:innen. Für Betrachtende stellt sich bei Le Vas Arbeiten darüber hinaus die Frage nach der Autorschaft. Was etwa macht die wunderbar leichte Bodenzeichnung „Tangle II (Double Join)“ aus frei und locker verschlungenen Schnüren und Gurten zu einer Arbeit von Barry Le Va, wenn klar ist, dass es sich hier um eine Rekonstruktion durch Museumspersonal handelt? Wie frei darf sie sein? Andererseits: ist das überhaupt relevant? Sind Le Vas Arbeiten nicht eher vergleichbar mit Jazzkompositionen? Es gibt ein Thema, ein Set von beteiligten Instrumenten und alles andere ist Interpretation: die Aktivierung von Potenzialen, ein Austarieren von Beziehungen zwischen Notation, Zufall, Körper, Klang und Raum, den alle gemeinsam bilden. So gesehen dürfte jede Ausstellung von Barry Le Va einen eigenen Sound haben, je nachdem, wer seine künstlerischen Entscheidungen und Handlungen aus den umfangreichen Skizzen, Konzepten, Zeichnungen und Plänen nachvollzieht. In Liechtenstein hat Kuratorin Christiane Meyer-Stoll dieses Material gleich in mehreren Räumen ausgebreitet. Mal dokumentarisch, um die großen Linien im Werk sichtbar zu machen oder die Akribie, mit der sich Le Va den Fragen von Systemen widmete, mal anregend und spielerisch wie Serviervorschläge oder grafische Partituren, die sich in den nächsten Räumen dann überraschend materialisieren. Als körperlose Bodenarbeit aus gesiebter Kreide etwa, als raumgreifende „Bunker Coagulation“ im Look einer Modellstadt. Oder als die berühmten „Distribution Pieces“, denen die US-Zeitschrift Artforum 1968 einen ausführlichen Essay samt Cover widmete, was für Barry Le Va den internationalen Durchbruch bedeutete. Sie waren das Experimentierfeld für die Erforschung der Gleichzeitigkeit von Ordnung und Diffusion, Stabilität und Instabilität als Grundlage seines erweiterten Skulpturbegriffs. Grundsätzlich auf dem Boden ausgeführt, beschreiben ihre Titel, was zu sehen ist – zum Beispiel: „Equal Quantities: Placed or Dropped In, Out and On in Relation to Specific Boundaries“. Immer wieder begegnen einem in Vaduz diese aus Aluschienen, Stahlkugeln und Filzschnipseln ausgelegten und geworfenen Cluster und kommen einem bald seltsam vertraut vor. Nicht ohne Grund. Denn wie bei den zersplitterten Glasarbeiten oder der spektakulären Serie von zwölf freihändig in die Wand gehackten Beilen im gleichen Raum („Cleaved Wall“) geht es auch hier um die zentrale Frage, die Barry Le Va umtrieb: Welche Effekte haben Handlungen auf Materie?