Pauline Julier: A Single Universe.
Aargauer Kunsthaus, Aargauerplatz, Aarau.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 27. Oktober 2024.
www.aargauerkunsthaus.ch
Zur Ausstellung ist eine Publikation erschienen. Pauline Julier: and so on, a single universe, Scheidegger & Spiess, Zürich 2024, 204 S., 48 Euro | ca. 49 Franken.
Es hätte die Krönung seiner Laufbahn als Naturforscher sein können. Nicht viele erleben einen Vulkanausbruch derart unmittelbar wie Plinius der Ältere. Entgegen aller Einwände trieb er während des Ausbruchs des Vesuvs 79 n. Chr. die verängstigte Mannschaft seines Schiffes aufs Meer, um einen Bekannten zu retten und um aus nächster Nähe aufzeichnen zu können, was passierte. Plinius dem Älteren wurde dies zum Verhängnis, er starb, möglicherweise an einer Schwefelvergiftung. In Pauline Juliers „Neapolitan Triptych“ werfen drei 16mm-Filme ganz unterschiedliche Perspektiven auf die Bedrohung, die der Vesuv seit jeher darstellt. Während Seiten aus Plinius‘ „Naturalis Historia“, Briefe seines Neffen, die Gipsabgüsse der Toten von Pompeji und Zeichnungen so etwas wie historische Zeugnisse der allgegenwärtigen Gefahr sind, zeigen die beiden anderen Filme einerseits den Beobachtungsraum des Observatorio Vesuviano, andererseits das wunderbare Ereignis von der Verflüssigung des Blutes von San Gennaro unter inbrünstiger Teilhabe der Gläubigen. Denn löst sich die Substanz im Reliquiar des Stadtpatrons nicht auf, droht Neapel mindestens ein Vulkanausbruch.
Pauline Julier (*1981) wertet diese unterschiedlichen Haltungen nicht, sie mögen Irrglauben sein, einem vorläufigen Wissensstand oder dem Fortschrittsoptimismus geschuldet sein. Julier hat bei Bruno Latour studiert, aber auch Fotografie und Politikwissenschaften in Arles und Grenoble. In ihrer Ausstellung im Aargauer Kunsthaus „A Single Universe“ sind die Zugänge zum Universum vielfältig, doch dem Auge kommt eine besondere symbolische Bedeutung zu. Ihm wird in „Occupy Mars“ eine getrübte Linse herausoperiert oder durch Instrumente mehr Sehkraft verliehen. Im Werkkomplex „The World’s Oldest Landscape“, der zwischen 2017 und 2019 entstanden ist, erzählt der Anthropologe Philippe Descola, wie er sich dabei ertappte, die Natur vor seinen Augen als Landschaft zu konstruieren. Wie können wir neue Erkenntnisse formulieren, wenn wir auf die immer gleichen Sinnesorgane angewiesen sind?
Der Titel jedoch ist der Aussage von Karen Luza, einer Angehörigen der nordchilenischen Kolla entlehnt, die in Juliers gut einstündigem Film „Follow the Water“ einen Einblick in die Vorstellungswelt der Indigenen gibt, in der alles einem Universum angehört. Ihr Glaube kollidiert mit den ökonomischen Interessen in einem Land, in dem Wasser Privatbesitz ist. Seit vorkolumbischer Zeit wird in der Atacama-Wüste Landwirtschaft betrieben dank eines klugen Bewässerungssystems, das die Felder in bestimmten Abständen flutet. Der intensive Abbau von Lithium für Batterien in der Salar de Atacama bringt das sensible Ökosystem durcheinander und die Kolla um ihre Lebensgrundlage. Pauline Julier stellt die Nachhaltigkeit einer bescheidenen Lebensweise der Ausbeutung der Natur unter dem Zeichen einer grünen Mobilität gegenüber. Dass die NASA in der Atacama-Wüste Marseinsätze übt, wirkt wie ein zweifelhaftes Echo auf die Analogie von Mikro- und Makrokosmos der antiken Naturphilosophie.
Die schweizerisch-französische Künstlerin laboriert in ihren Arbeiten mit Zeitdimensionen, die die menschliche Vorstellungskraft sprengen. „The World’s Oldest Landscape“ befasst sich mit dem Fund eines versteinerten 300 Millionen Jahre alten Waldes in China. Und für das Video „A Million-Year Picnic“ hat sie die Forschenden Didier Queloz, Camille Bonvin und Violaine Sautter zusammengebracht. Ihre Zusammenkunft wirkt verspielt, jemand wirft Lichter aus einer Brotbox in den Sand, später ahmen sie gemeinsam den ungelenken Gang in der Schwerelosigkeit nach. Der Nobelpreisträger Queloz erzählt von seiner Entdeckung der Planeten außerhalb unseres Sonnensystems, eine der Wissenschaftlerinnen gibt sich begeistert über die Spektralfarben am Boden. Und doch scheint als hätten wir nur die leiseste Ahnung, was wir zerstören.