Kristallisationspunkte. Salz und Zucker in der Kunst.
Kunstmuseum Heidenheim, Marienstr. 4, Heidenheim.
Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr, Mittwoch 13.00 bis 19.00 Uhr.
Bis 2. Juni 2024.
www.kunstmuseum-heidenheim.de
Um das Salz ranken sich seit langer Zeit Mythen, Legenden, (Aber-)Glauben. So kennt man heute noch immer den Brauch, jemanden beim Einzug in ein neues Zuhause mit Brot und Salz zu beschenken. In anderen Kulturen werden junge Eheleute oder Besucher damit bedacht. Das Salz steht symbolhaft für Gemeinschaft, Wohlstand und Sesshaftigkeit; in der Antike wurde Salz als Aphrodisiakum benutzt und wer sich Salz über die Schulter wirft, hofft Unglück abzuwenden. Seit 7000 Jahren baut der Mensch Salz ab, es sollte also nicht verwundern, dass dieser wichtige Stoff auch in der Kunst eine nicht unwichtige Rolle einnimmt. „Kristallisationspunkte. Salz und Zucker in der Kunst“ versammelt aktuelle Positionen rund um die beiden Lebensmittel. Der japanisxche Künstler Takaya Fujii zeigt verschnürte Bücher, die er in Salz einlegte. Wenn er auch die Salzkristallisation nur bedingt steuern kann, so zeigen diese still-sensationellen Werke doch Spuren der Einflussnahme – der Künstler hat durch Wenden und Repositionieren der Bücher in der Lauge verschieden dicke Bekrustungen und Färbungen erzeugt. Die Schriften erkennt man nur noch fragmentarisch. „Covered in Beauty“ vom Niederländer Kees de Vries zeigt Alltägliches, von Salz umhüllt – man denkt unwillkürlich an die Geschichte von Lots Frau aus dem Pentateuch, die gegen das Verbot, sich zur zerstörten Stadt Sodom umzudrehen, verstieß. Sie wurde bestraft: „Als Lots Frau zurückblickte, wurde sie zu einer Salzsäule“. Als würde er diesem Gedanken bis in die letzte Konsequenz folgen wollen, umgibt de Vries auch physische Stilleben, Teller, Flaschen, Gläser mit dicken weißen Salzkrusten: „Hope“ entstand während der Corona-Shutdowns und ruft unheilvoll Gefühle des Eingesperrtseins wach, aber auch den apokalyptischen Gedanken an eine Welt ohne Menschen. Kunstwerke von außerordentlicher Ästhetik, die gleichermaßen von Tod und Schönheit, Belebtem und Unbelebtem erzählen.
Es ist eine Schau, die man mehrfach besuchen sollte, denn sie wird sich fortwährend verändern. Jonas Etters „Wallpiece“ etwa. Er hat gebrannten Zucker in einen Rahmen gegossen, der zum Ausstellungssaal hin offen ist – und durch die Raumverhältnisse wieder flüssig wird und langsam auszulaufen beginnt. Was also bei der Vernissage noch eine dekorativ tröpfelnde Zuckerlinie in hellem Braun vorstellte, wird in den Wochen danach zu einer immer weiter in den Raum hineinsickernden Masse werden. Eine dunkle, teerige Konsistenz, die kaum noch an Zucker denken lässt. Die Installation „Bonne Chance“ von Johanna Strobel wird ebenfalls fortwährend verändert, vielmehr: zerstört. Keramikfäuste, die mit einer dicken Salzkruste umgeben sind, wurden in der Art eines Newton’schen Pendels in den Ausstellungsraum gehängt. Die hinterste Faust wird immer wieder auf die anderen einschlagen und die Salzkrusten beschädigen und letztendlich zerschlagen – bis im Kern eine Keramikfaust sichtbar. Wie schnell oder langsam das geht, ist eine Frage der Zeit. „Zeit“ ist der dritte, im Ausstellungstitel ungenannte Faktor der meisten Arbeiten. Sie werden, je nach Konzept, angegriffen und zersetzt. Elia Nurvistas vor Ort gegossene Zuckerhüllen werden sich durch die Luft und die Aerosole im Ausstellungsraum auflösen, ebenso die der Umgebung ausgesetzten Industriezuckerobjekte von Nadine Karl. Es sind Zuckerabgüsse von Zuckerrüben, die – horribile dictu – eher wie zerfressene Zähne aussehen. Demgegenüber hat die Künstlerin Plastikspielzeug in Zucker gegossen und unter Glashauben gestellt. Auch hier wird der Zerfall eintreten, allerdings langsamer. Bei Thomas Rentmeister hingegen ist der in eine Ecke gehäufte Streuzucker einem Akt des zufälligen Hinzufügens ausgesetzt – im Verlauf der Ausstellung wird sich dieser zu Beginn noch recht weiße Haufen in ein unansehnliches, vom Schmutz, den die Besucher mitbringen, verunreinigtes Kongolomerat verwandeln. Alice Musiols ausnehmend schöne Bodenarbeit aus schwarzem Velourstoff und Salz bezaubert, während die strengen Arrangements aus Zuckerwürfeln, die Heidemarie Ziebandt und Patricija Gilyte an den Museumswänden installieren, den Ausgangsstoff verfremden und zum visuellen Mekka für Konstruktivisten türmen.