Bedingungslosigkeit vs. Komplexität

Candice Breitz, Whiteface, 2022, Videostill, im Auftrag des Museum Folkwang mit Unterstützung der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, Courtesy the artist, © Candice Breitz
Thema
8. Dezember 2023
Text: Redaktion

Als das indonesische Künstler:innenkollektiv Taring Padi im Juni 2022 mit dem Bild „People’s Justice“ offen antisemitische Hetze ins Herz der documenta 15 trug und die haarsträubenden Relativierungsversuche der Kurato­r:innen von ruangrupa den Skandal noch verstärkten, der die documenta in ihren Grundfesten erschütterte, markierte das den Beginn einer tiefen Desillusionierung. Ob und wann die documenta 16 stattfinden wird, ist heute kaum abzusehen. Nach erneuten Antisemitismusvorwürfen ist die Findungskommission der Großausstellung nach und nach bis Mitte November zurück getreten.

Keine Frage: Ende 2023 ist der Kunstbetrieb in schlechter Verfassung. Nicht weil es zu wenig Spannendes zu entdecken gäbe oder die Häuser nicht wüssten, was sie zeigen sollten. Sondern weil die brutale Wirklichkeit des Krieges in Israel und Gaza offenbart hat, wie schwierig es geworden ist, sich in grundsätzlichen Fragen auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen – obwohl doch alle behaupten, auf der Seite der Schwachen, Diskrimierten, Gefährderten und Unterdrückten zu stehen. Aber wie genau könnte dieser Nenner aussehen, nach dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel, bei dem am 7. Oktober 2023 rund 1200 israelische Männer, Frauen und Kinder ermordet und 239 weitere als Geiseln entführt wurden, und nach der darauf folgenden Bodenoffensive der israelischen Armee im dichtbesiedelten, von Wasser- und Stromimporten sowie von humanitären Hilfslieferungen weitgehend abgeschnittenen Gaza-Streifen?

Eine, die nicht bereit ist, sich in Sachen Empathie und Solidarität zwischen den israelischen und den palästinenischen Opfern des Kriegs zu entscheiden, ist die 1972 in Johannesburg geborene und in Berlin lebende jüdische Künstlerin Candice Breitz. Ihre Videoabeit „Whiteface“, eine groteske Satire über Alltagsrassismus und die konstruierte Selbstwahrnehmung der Weißen, war kürzlich in der Kunsthalle Baden-Baden zu sehen. Die für 2024 geplante Ausstellung der 51-Jährigen im Saarlandmuseum hat die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz nun jedoch abgesagt, wegen ihrer dort als „kontrovers“ bewerteten Haltung zur Eskalation des Nahost-Konflikts. „Angesichts der Tatsache, dass die aktuellen Diskurse Grenzen verschieben und Überzeugungen in Frage stellen, die für uns historisch unanfechtbar sind, müssen wir umso deutlicher machen, dass wir an der Seite der Menschen in Israel und der Opfer der Hamas-Terroristen auf beiden Seiten stehen“, hieß es in der Begründung. Den Kontakt zur Künstlerin suchte das Museum nicht, ihre mehrfache, klare Verurteilung des Hamas-Terror auf Instagram blieb unbeachtet. In einem 3sat-Interview wunderte sich Breitz darüber, wehrte sich aber zugleich gegen die Einschätzung, gecancelt worden zu sein. Ihr habe ja niemand den Mund verboten, sie könne sich nach wie vor in der Öffentlichkeit dazu verhalten. Und das tut sie. Die durch die Absage ausgelöste Aufmerksamkeit nutzt Breitz nun, um auf die dramatische Zunahme des Antisemitismus in Deutschland hinzuweisen und zugleich auf die wachsende Konfrontation von Kunstschaffenden mit nicht belegten Antisemitismusvorwürfen und Vorverurteilungen.