Mark Wallinger: Die Finger des Proteus

Mark Wallinger, Ausstellungsansicht im Museum Langmatt, Baden, 2022, © Pro Litteris, Zürich
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23. November 2022
Text: Annette Hoffmann

Mark Wallinger.
Museum Langmatt, Römerstr. 30, Baden.
Dienstag bis Freitag 14.00 bis 17.00 Uhr, Samstag und Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 11. Dezember 2022.
www.langmatt.ch

Mark Wallinger, Ausstellungsansicht im Museum Langmatt, Baden, 2022, © Pro Litteris, Zürich
Mark Wallinger, Proteus Painting 8, 2021, © Pro Litteris, Zürich
Mark Wallinger, Proteus Painting 10, 2021, © Pro Litteris, Zürich

Wer 2008 die große Einzelschau im Aargauer Kunsthaus von Mark Wallinger (*1959) gesehen hat, wird nun im Museum Langmatt eine ganz andere Seite des britischen Künstlers kennenlernen. Zwangsläufig ist in den intimen Räumen der historischen Industriellenvilla alles ein bisschen mehr auf das menschliche Maß heruntergedimmt. In Aarau zeigte Wallinger raumgreifende Werke, die seinem Ruf als Konzeptkünstler gerecht wurden – oft gesellschaftskritisch, nicht selten witzig. 2007 wurde ihm der Turner Prize zugesprochen für seine Installation „State Britain“, die den jahrelangen Protest eines Aktivisten vor dem Parlament gegen die britische Beteiligung am Irakkrieg mit unzähligen Schildern, Slogans und Fotos im Kunstraum rekonstruierte. Sechs Jahre zuvor hatte Wallinger Großbritannien auf der Biennale von Venedig vertreten. Auf die Fassade des Pavillons hatte er ein maßstabgetreues Foto der Fassade gehängt.

In seiner Malerei spielt ein derartiger Illusionismus keine Rolle. Die stilistische Bandbreite jedoch hatte schon immer sein Werk bestimmt, in dem eben auch die Malerei seinen Platz hat. Schon vor der Pandemie hatte Mark Wallinger wieder verstärkt gemalt, 2019 zeigte er seine „Action Paintings“ in den USA. Und im Museum Langmatt in Baden bilden sie in der Gemäldegalerie im Erdgeschoss so etwas wie das Rückgrat der Ausstellung. Sie sind nicht eigens als Reaktion auf die Pandemie entstanden, doch der erzwungene Rückzug dürfte Wallingers Auseinandersetzung mit dem Bild noch verstärkt haben, schließlich braucht es dafür keine große Werkstatt mit zahlreichen Assistenten.

Wallingers Bilder sind also Handarbeit und dies im ganz wörtlichen Sinne. Denn der britische Künstler bearbeitet die Leinwände mit den Fingern. Und man sieht dies ganz deutlich, denn manchmal lassen sich fünf Striche einfach als Verlängerung der Hand identifizieren. Und dieser unmittelbare Ausdruck und Abdruck hat etwas sehr Menschliches und Verbindendes. Wallinger verteilt auf dem schwarzen, noch feuchten Hintergrund der Bilder silberne Farbe, so dass sich die beiden Farbtöne oft mischen. Das Schwarz dominiert den Eindruck, doch im silbernen Ton reflektiert das Licht. Auf den ersten Blick löst sich tatsächlich der Eindruck eines Action Paintings ein: ziemlich wild, ziemlich impulsiv. Da Wallinger jedoch ein Zehnfingersystem entwickelt hat, gibt es oft Symmetrieachsen auf diesen Bildern, wodurch sie etwas von einem Rohrschachtest haben. Und man kann in dieses Gewirr, in diese Verdichtungen sehr viel hineinlesen – Ornamentales, Chaos und Ordnung. Action Painting meint aber auch, dass die Bildkomposition auf dem Aktionsradius des Körpers beruht. Liegt darin ein Kontrollverlust, schließlich dürfte es Mark Wallinger beim Malprozess an räumlicher Distanz fehlen oder ersetzt ein physischer Zugang zur Malerei den intellektuellen?

Wallingers „Proteus Paintings“ jedenfalls beantworten die Frage durch ihre ganz eigene Sinnlichkeit. Auch hier ist der Entstehungsprozess ein haptischer. Wallinger hat farbiges Plastilin verwendet, es muss warm geknetet werden, damit man es formen und mit den Händen und dem Spachtel auf den kleinformatigen Bildgrund auftragen kann. Diese „Proteus Paintings“ sind ein Gegengewicht zu den „Action Paintings“, die zwar nicht streng sind, aber doch auf einem eindeutigen Schwarz-Silber-Kontrast beruhen. Die Bilder des ersten Stocks arbeiten sich hier durch das gesamte Farbspektrum. Er hat sichtlich Freude an dieser Verwandlung und nicht grundlos ist ja der antike mythische Meeresgott Protheus ein Meister der Metamorphose. Mal schafft er Neon-Effekte, dann scheint er sich wiederum an die Fersen eines Sam Francis und des abstrakten Expressionismus geheftet zu haben. Wieder andere Arbeiten scheinen farbige Versionen von Camouflagemuster zu sein. Selbst Blumen scheint man hier zu erkennen. Es gibt also durchaus Schnittmengen zu den Impressionisten in ihrem Umgang mit Farbe und Licht. Damit und mit positiven Signalen für die Gesamtsanierung des Museums kann die Villa Langmatt getrost in die Winterpause gehen.