Monica Bonvicini als Zeichnerin: Die Freude an Untergangsszenarien

Monica Bonvicini, Wildfire Kern 2010, 2016 (l.), Courtesy the artist & Galleria Raffaella Cortese, Milano, Foto: Roman März, © Monica Bonvicini und ProLitteris
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26. Oktober 2022
Text: Annette Hoffmann

Monica Bonvicini: Hurricanes and Other Catastrophes.

Kunst Museum Winterthur,
Museumstr. 52, Winterthur.
Dienstag 10.00 bis 20.00 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 13. November 2022.

www.kmw.ch

Monica Bonvicini, Galveston hurricane, aus: Hurricanes and Other Catastrophes (#19), 2007, Courtesy the artist & Galerie Krinzinger, Wien, © Monica Bonvicini und ProLitteris
Monica Bonvicini, Hamilton City 2019, 2019, Courtesy the artist & Galerie Krinzinger, Wien, © Monica Bonvicini und ProLitteris
Monica Bonvicini, Sandy Mantoloking 2012, 2019, Courtesy the artist & Galerie Peter Kilchmann Zürich, Foto: Jens Ziehe, © Monica Bonvicini und ProLitteris

Eine dieser Katastrophen hätte völlig genügt. Doch bekanntlich kommt das Unglück nicht allein und so hat der Titel von Monica Bonvicinis Ausstellung im Kunst Museum Winterthur „Hurricanes and Other Catastrophes“ durchaus seine Berechtigung. Die stete Wiederholung des Unheils ist tatsächlich das dominierende Moment ihrer Einzelschau. Anders als in ihrer kommenden Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie konzentriert man sich in der Schweiz auf einen Werkzyklus. Die über 60, meist großformatigen Schwarzweiß-Zeichnungen werden durch einige wenige Skulpturen ergänzt, während sich dies in Berlin, wo laut Pressetext, das Gebäude selbst „und damit der öffentliche Raum zur Verhandlungsebene des Privaten“ werden soll, angesichts der zerborstenen oder in Flammen aufgehenden Häusern umdrehen lässt. Die Katastrophe, sei sie durch Hurrikane oder Waldbrände ausgelöst, weist über das Private hinaus. In der Kunstgeschichte jedenfalls hat sie eine gewisse Tradition.

Das Initialerlebnis von Monica Bonvicini (*1965) war der Hurrikan Katrina, der im August 2005 mehrere Tage im Süden der USA wütete. Seit 2008 entstehen nun diese Zeichnungen, die jeweils nach dem Namen und dem Jahr des Wirbelsturms betitelt sind. Etwas abseits des Gros der häufig installativ gehängten Zeichnungen finden sich ein paar wenige Schwarzweiß-Aufnahmen. Man erkennt auf den Fotos Schäden am Fundament, bei einem der Häuser wurde der Dachstuhl abgedeckt, Türe und Fenster sind verbarrikadiert. Der Zustand ist insgesamt so schlecht, dass die auf die Fassaden gesprayten Zeichen keine Tags zu sein scheinen, sondern offizielle Bewertungen der Bausubstanz. Und die war wohl schon immer minderwertig. Fotos sind auch die Grundlage für Bonvicinis Zeichnungen. Auf diesen werden Schuppen zusammengefaltet, ein Haus mit Veranda im Südstaatenstil neigt sich derart, dass es nur noch einen Moment der Schwerkraft trotz, auf einer anderen Zeichnung schwebt ein Dach in der Luft. In den Arbeiten, die nach Feuerkatastrophen entstanden sind, legen sich Rauch und Staubwolken über die Gebäude. Während Skulpturen wie „Flagging down up all night“ und „Bent on Going“ zu demonstrieren scheinen, wie Gürtel oder LED-Röhren zusammengehalten werden, fällt in den Zeichnungen alles auseinander. Monica Bonvicini arbeitet mit schwarzer Temperafarbe und Spraydose auf Papier und Leinwand. Das sieht so dynamisch wie unheilschwanger aus. Die schiere Menge dieser Katastrophenbilder verändert die Rezeptionshaltung. Frei nach Tolstoi ähnelt sich das Glück, während das Unglück jeweils anders aussieht. Die Katastrophe hier jedoch gleicht sich, sie schlägt ein wie ein Hammer. Allzu subtil ist das nicht, doch wer Bonvicinis Erkundungen von Macht in Lack und Leder kennt, dürfte dies auch nicht erwartet haben. Als Grundtenor einer Ausstellung ist dies durchaus ermüdend.

Zwar bleiben diese Katastrophenbilder menschenlos. Vielleicht weil die Gegenden verlassen wurden. Doch wie aus einem barocken Gedicht schlägt dem Betrachter hier die absolute Sinnlosigkeit menschlichen Handelns entgegen. Generationen mögen an und in diesen Häusern und Gehöften gearbeitet haben, es brauchte nur wenige Sekunden, sie zu vernichten. Die Textfragmente, die sich über die Arbeiten ziehen und Zerstörung beschwören wie „Anger is the greatest inspiration, suddenly one is all in one piece“ verweisen auf eine gesellschaftliche Komponente. Sie spielen auf die Wut als Keil an, der durch die US-amerikanische Gesellschaft geht. Sei es, dass die Unterprivilegierten, die bekanntlich vom Hurrikan Katrina durch die Lage und Substanz ihrer Häuser besonders betroffen waren, doch einmal gegen die Ungerechtigkeit aufstehen werden. Sei es – was wahrscheinlicher ist –, dass sich der Unmut gegen diese bereits darin ausdrückte, sie an die Ränder zu drängen und der (Klima)katastrophe zu überlassen. Doch vielleicht stellen diese Textfragmente auch nur den Versuch dar, einem namenlosen Unglück Sinnhaftigkeit zu geben.