Jasmine Tutum

Jasmine Tutum, Voice is Vision, 2022, Performancestill aus der Ausstellung „Radical Encounters“ im E-Werk Freiburg, Foto: Marc Doradzillo
Porträt
7. Juni 2022
Text: Annette Hoffmann

Jasmine Tutum

tritt auf am 29./30. Mai und am 10. Juni 2022, je 21.00 Uhr,
im Rahmen der Ausstellung „Radical Encounters. Perspektiven des Afropäischen“,
Galerie für Gegenwartskunst im E-Werk, Eschholzstr. 77, Freiburg.

Bis 3. Juli 2022

Jasmine Tutum, Voice is Vision, 2022, Performancestill aus der Ausstellung „Radical Encounters“ im E-Werk Freiburg, Foto: Marc Doradzillo
Jasmine Tutum, Voice is Vision, 2022, Performancestill aus der Ausstellung „Radical Encounters“ im E-Werk Freiburg, Foto: Marc Doradzillo
Jasmine Tutum, Voice is Vision, 2022, Performancestill aus der Ausstellung „Radical Encounters“ im E-Werk Freiburg, Foto: Marc Doradzillo
Jasmine Tutum, Aemura, 2020, Foto Jasmine Tutum, Courtesy the artist
Jasmine Tutum, Aemura, 2020, Foto Jasmine Tutum, Courtesy the artist

Kürzlich war Jasmine Tutum in Stuttgart. Und als sie bei der Vernissage von „Evidence of Things Not Seen“ im Württembergischen Kunstverein Carrie Mae Weems gegenüberstand und ihr die Hand schüttelte, war sie doch ziemlich gerührt. Für viele ist die Konzeptkünstlerin diejenige, die schwarze Menschen in der Kunst sichtbar gemacht hat. Sie habe früher versucht auf Weems‘ Weise zu fotografieren, erzählt Tutum in Freiburg. Doch über den Einfluss auf eine junge Studentin in Kanada auf der Suche nach Vorbildern hinaus dürfte die Stuttgarter Ausstellung Tutum auch so etwas wie Genugtuung verschafft haben. Insofern das Werk der bedeutenden afroamerikanischen Künstlerin nun endlich umfassend in Deutschland zu sehen ist und mit ihm die eigene Community, die im Zentrum der Arbeiten der 1953 geborenen Carrie Mae Weems steht.

Jasmine Tutum selbst ist derzeit an der Gruppenschau „Radical Encounters. Perspektiven des Afropäischen“ mit der Performance „Voice is Vision“ beteiligt. Im Nachhinein amüsiert es sie fast, welche Zufälle John Akomfrah, Mohamed Bourouissa, Johnny Pitts und sie miteinander verbindet. Was auch an ihrer eigenen Vielseitigkeit liegen mag. Sie macht Musik – im Herbst veröffentlicht ihre Band das neue Album „The Other Others“ –, Dub-Poetry, sie schreibt, arbeitet als professionelle Sprecherin, kuratiert, performt und fotografiert. Und für einen unabhängigen Freiburger Radiosender hat sie 15 Jahre Programm gemacht. Nach einem Studium der französischen Literatur schrieb sie sich für Kunstgeschichte und Fotografie in Montreal ein. Auf der Regionale 22 hatte sie in der Galerie für Gegenwartskunst ihre Multimediaarbeit „Aemura“ gezeigt. Auf einer Wanderung im Schwarzwald stieß sie auf eine verlassene Hütte. Ihr letzter Bewohner hatte dort seine Sachen zurückgelassen. Tutum kam mit ihrer Kamera wieder und nahm die Hinterlassenschaften auf: ein unerwarteter Fluchtraum, Objekte mit sehr viel Patina, die sich gegen die Stille behaupten, eine fragmentarische Erzählung. Und es war klar, dass es ihr wichtig ist, für Verborgenes die Stimme zu erheben. Und dieses „giving a voice for the voiceless“ hat unverkennbar einen politischen Hintergrund.

Geboren wurde sie 1978 in Tokio, wo ihre Eltern – ihr Vater kommt aus Gabun, ihre Mutter aus Jamaica – als Diplomaten arbeiteten. Und weil sie später so oft auf ihre Geburtsstadt angesprochen wurde, bewarb sie sich im Anschluss an das Studium auf ein Japan-Stipendium. Sie näherte sich der Kultur über die Gedichtform des Haikus und über die Keramik an. Seit 2007 lebt sie in Freiburg.

Ihre Performance „Voice is Vision“ begleitet sie schon eine Weile. Aktuelle Diskurse wie die Restitution von Raubkunst, die Black Lives Matter-Bewegung sind in sie eingegangen wie auch die Geschichte des Kolonialismus. Ihr Notizbuch ist voll mit Anmerkungen zur Kongokonferenz 1884 in Berlin, aber auch zu Carl Einstein, der sich als erster kunsthistorisch mit afrikanischer Kunst befasste. Die inhaltliche Recherche ist Tutum wichtig. „Ich muss den Hintergrund von dem erforschen, was ich taktil und sensorisch mache, sonst würde es an Tiefe fehlen“, sagt sie. In ihrer Performance erhebt sie nicht allein als „black woman rebellion voice“ die Stimme für eine afropäische Kultur, sie projiziert Bilder und Texte an die Wand, unter anderem aus Joseph Conrads Roman „Herz der Finsternis“, und sie tanzt erstmals, um eine Präsenz zu schaffen und die verschiedenen Ebenen miteinander zu verbinden. Sie ist für alles verantwortlich, selbst für die Technik. Auch das kann eine Befreiung sein.