Corona Studios II: Jens Reichert

Jens Reichert, vier, 2020
Jens Reichert, fahl, 2020, Courtesy the artist
Thema > Corona Studios II
10. März 2021
Text: Jens Reichert

Jens Reichert, *1967, lebt und arbeitet in Freiburg.
reichert-jens.de

Jens Reichert, Steh auf. Still, 2020
Jens Reichert, steh auf, Still, 2020
Jens Reichert, steh auf, Still, 2020
Jens Reichert, stehauf, Stills, 2020, Courtesy the artist
Jens Reichert, stehauf, 2020, Courtesy the artist
Jens Reichert, fahl, 2020
Jens Reichert, vier, 2020, Courtesy the artist

fahl ist eine kleine Malerei, deren Qualität fast wie beiläufig entstanden ist.

In der Wahrnehmung des Betrachters oszilliert die Leuchtkraft der Farben genau zwischen Verblassen und Aufleuchten. Ähnlich wie während der „blauen Stunde“ in der Abenddämmerung wenn die Farbigkeit der Blumen sich kurz nochmal intensiviert um dann vollends zu verschwinden.

vier hatte einen sehr langen, heterogenen Malprozess hinter sich, bis dann letztlich das endgültige Bild in einer recht kurzen, rund einstündigen Zeitspanne sich vollendet hat. Obwohl motivlich ganz abstrakt, kann es wirken als ob man einen gewebten Stoff unter dem Vergrößerungsglas betrachten würde.

stehauf ist ganz ungegenständlich, hat aber natürlich das Stehaufmännchen als funktionales Vorbild. Die Bewegungen die stehauf in Aktion macht, sind sehr dynamisch, wirken unkontrolliert und haben einen direkten Körperbezug. Das interessiert mich sehr und noch dieses Jahr soll ein deutlich größeres stehauf II entstehen. stehauf ist während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 entstanden und einen sinnbildlichen Bezug zur Resilienz zu sehen, ist durchaus naheliegend.




Sechs Fragen an Jens Reichert

Hast Du staatliche Hilfe beantragt? Wenn nicht, warum nicht – wenn ja, wurde sie bewilligt?
Ich habe im Frühjahr 2020 zweimal staatliche Soforthilfe beantragt und auch unkompliziert und schnell erhalten.

Gab es ausgefallene oder verschobene Ausstellungen, Veranstaltungen, Stipendien, Jobs, Reisen, gab es Verkäufe?
Es sind zwei bis drei kleinere Gruppenausstellungen ausgefallen, bzw. verschoben worden. Außerdem ist ein Messejob gestrichen worden und diverse Lehraufträge und Kurse sind ausgefallen, bzw. wurden verschoben. Andere wurden digital per zoom durchgeführt. Eine Reise im letzten Sommer in Richtung Norden habe ich verschoben. Glücklicherweise habe ich seit Oktober 2020, für meine Verhältnisse, recht gut Kunst verkauft.

Hat sich Deine Arbeit während des letzten Jahres verändert?
Ich würde sagen, dass sich meine Einstellung zum Leben und Mensch sein an sich verändert hat. Ich glaube ich habe derzeit ein wacheres Bewusstsein über, aber auch mehr Skepsis gegenüber vorherrschenden gesellschaftlichen, sozialen Strukturen und Anschauungen. Das wird sich zukünftig hoffentlich auch in einer größeren Wirksamkeit und in einer gesteigerten Intensität meiner Arbeit wiederfinden.

Wie hast Du Solidarität erfahren?
Außer der Freiburg Art Fair habe ich keine direkte Solidarität erfahren. Das war aber auch gar nicht notwendig. Wäre ich in existentieller Not gewesen, hätte ich bestimmt menschliche und finanzielle Unterstützung von Freunden erhalten.

Welchen Einfluss hat der langfristige Lockdown auf den Austausch mit anderen? Was macht das mit der Kunstszene?
Die informellen Treffen mit anderen KünstlerInnen und kunstinteressierten Menschen auf z.B. Ausstellungseröffnungen o.ä. fehlen ja leider völlig. Das ist schon eine deutliche soziale Verarmung. Die Kunst und die Freude am Leben lassen sich langfristig aber nicht unterbinden. Insofern wird es mit der Kunst auf jeden Fall weitergehen. Allerdings befürchte ich, dass in der kommenden Zeit Kunst zu machen und zu zeigen für die KünstlerInnen und für die größeren und kleineren Kunstinstitutionen (finanziell) bedeutend schwieriger werden wird.

Die Kultur war schnell und hart betroffen und ist es nach wie vor, bislang unabsehbar. Wie hätte ein anderer Umgang mit Kunstschaffenden aussehen können? Wie soll es nach der Krise weiter gehen, was muss anders werden?
Meiner Meinung nach ist es keine romantische oder idealistische Anschauung,  sondern sehr nah am Leben dran wenn man sagt, das Kunst und Kultur systemrelevant sind. Gerade in der Krise braucht es Menschen die ganzheitlich Wahrnehmen und Denken können, die Phänomene zu deuten wissen und die es aus ihrer künstlerischen Praxis heraus gewohnt sind, sich in haltlosen Zuständen zu orientieren. KünstlerInnen sollten also unbedingt mit am Tisch sitzen, wenn es darum geht, gesellschaftliche Prozesse und Strukturen in neue Bahnen zu lenken. Beuys würde dieses Jahr 100 Jahre alt. Das scheint mir kein Zufall zu sein. Sein Werk und seine Ideen zur Kunst, zu Basisdemokratie und zur sozialen Plastik sind gerade derzeit so aktuell und wertvoll wie vielleicht noch nie zuvor.



Corona Studios II ist ein Projekt der Redaktion artline.org,
ermöglicht dank großzügiger Unterstützung vom Kulturamt der Stadt Freiburg