Ida Kerkovius: Jenseits aller Kunstrichtungen

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15. September 2020
Text: Jolanda Bozzetti

Ida Kerkovius: Die ganze Welt ist Farbe.
Staatsgalerie Stuttgart, Konrad-Adenauer-Str. 30-32, Stuttgart.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 13. September 2020.

www.staatsgalerie.de

Klein, aber fein ist die Kabinettausstellung, mit der die Staatsgalerie Stuttgart die Künstlerin Ida Kerkovius (1879-1970) zu ihrem 50. Todestag ehrt. 35 Arbeiten aus dem Bestand des Museums werden zu diesem Anlass gezeigt. Es sind größtenteils Werke aus der späteren Schaffenszeit, denn ihr Frühwerk wurde durch den Brand ihres Stuttgarter Ateliers 1944 zu großen Teilen zerstört.

Die in einer deutschbaltischen Familie geborene Kerkovius besuchte zunächst eine private Kunstschule in ihrer Heimatstadt Riga. Inspiriert durch die Ausstellung einer Adolf Hölzel-Schülerin ging sie an die Künstlerkolonie nach Dachau, um Hölzels dortigem Unterricht zu folgen. Dieser holte Kerkovius 1908 als seine Meisterschülerin an die Königlich Württembergische Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart, wo er inzwischen Professor war. Als Hölzels Assistentin gab „die Kerko“, wie sie genannt wurde, seine Lehre weiter und unterrichtete unter anderen den späteren Bauhäusler Johannes Itten. In ihrem eigenen künstlerischen Werk war sie zeitlebens von der Lust am Experimentieren geleitet. Die ausgestellten Arbeiten, in den Jahren zwischen 1911 und 1965 entstanden, bezeugen dies mehrfach in ihrer Heterogenität. Abstraktes und Figürliches wird oft in einem Bild kombiniert. So auch in der Arbeit „Frühling“ (um 1960): Bleistift-Schraffuren bilden gestrichelte Kompartimente. Dazwischen und teilweise darüber sind mit weißer und zartrosa Gouache Farbfelder gesetzt. Diese wurden dann mit Bleistift und Kugelschreiber umrandet und mit dunklen Akzenten versehen. So heben sich aus der Bildfläche Bäume (noch schneebedeckt oder vielleicht schon in voller Blüte) und Gebäude ab. In ihren kantigen Formen und der weißen Farbe könnten diese auf die Stuttgarter Weißenhofsiedlung verweisen.

Mit 41 Jahren entschloss sich Kerkovius, nochmals zu studieren und verbrachte von 1920 bis 1923 drei Wintersemester am neu gegründeten Bauhaus in Weimar. Dort besuchte sie, wie damals alle Frauen, die Webklasse, lernte aber auch bei Klee und Kandinsky. Deren Einfluss wird in ihren späteren Werken sichtbar: Engel, Fantasie-Figuren und kindliche Motive sind deutliche Referenzen auf Paul Klee. Ebenso ein gezeichneter Entwurf für eine abstrakte Teppichgestaltung, der in der Ausstellung neben einem gewebten Exemplar hängt, das Landschaft, Garten, Figuren und Abstraktion vereint („Paar im Garten“, nicht datiert).

Zum ersten Mal zu sehen ist ein doppelseitiges Ölgemälde von 1911, das in der Wahl des klassischen Sujets – auf der Vorderseite drei stehende, weibliche Akte, auf der Rückseite ein religiöses Figurenbild –, der Komposition und dem Material den starken Einfluss und Vorbildcharakter des Lehrers bezeugt.1933 wurde Kerkovius‘ Kunst als entartet abgestempelt. In der Zeit des Nationalsozialismus sicherte das Weben ihren Lebensunterhalt. Ihre Bilder wurden weiterhin heimlich gehandelt. Nach Ende des Krieges, mit Ende 60, kam ein Neuanfang und ihre Kunst wurde weit über die Stuttgarter Stadtgrenzen hinaus bekannt. Kerkovius wurde eine der beliebtesten Nachkriegskünstlerinnen Deutschlands ‒ über 70 Einzelausstellungen folgten.

Ihre Aussage: „Ich bekenne mich zu keiner Kunstrichtung“ kann als Manifest und Kommentar zugleich verstanden werden. Auch die Stuttgarter Präsentation folgt keiner Chronologie, sondern Themenblöcken wie Gärten, Stillleben und Landschaften und der „emotionalen Farbgebung“: Sattes Grün, Blau, Rot, Rosa und Orange werden oft in komplementärfarbigen Kontrasten zueinander gesetzt. Die meist kleinformatigen Gouachen und Pastelle – viele der ausgestellten Arbeiten sind erst in ihren Achtzigern entstanden – bezeugen einen wachen, frischen Blick und eine nicht abbrechende Freude, Neues auszuprobieren.