Jeongmoon Choi

Review > Sélestat > FRAC Alasace
31. Juli 2020
Text: Dietrich Roeschmann

Jeongmoon Choi.
FRAC Alsace, Sélestat.
Bis 25. Oktober 2020.

www.frac.culture-alsace.org
www.jeongmoon.de

Booom-boom, booom-boom. Leise, aber unüberhörbar stolpert ein Beat durch das Foyer des FRAC Alsace in Sélestat, während draußen der Feierabendverkehr an der Glasfassade vorbeirauscht. Am Ufer der Ill nehmen die ersten Gäste vor den Cocktail-Bars Platz, die hier im Sommer aufgebaut sind. In ein paar Stunden, wenn die Sonne untergeht, wird zur Soundkulisse im mattschwarz gestrichenen Ausstellungssaal eine gigantische Raumzeichnung langsam immer deutlicher sichtbar werden, mit UV-Licht projiziert auf ein aus 37 parallel gespannten Fäden konstruiertes Band, das über zahlreiche Alustangen mehrfach umgeleitet wird und sich als begehbares Diagramm auf 250 Quadratmetern labyrinthisch in alle Richtungen entfaltet.

Wochenlang hat die in Berlin lebende koreanische Künstlerin Jeongmoon Choi (*1966) damit verbracht, die fragile Installation zwischen Wänden, Decke und Boden aufzuspannen. Die Linienführung folgt den seismografischen Aufzeichnungen des Erdbebens von Tohoku, das 2011 den Tsunami auslöste, der zur Nuklearkatastrophe von Fukushima führte. Den Sound dazu liefert wiederum der Herzschlag der Künstlerin, per Ultraschall aufgenommen und in die Frequenzen des Seismogramms von Tohoku übersetzt. Er klingt unruhig, fahrig und in unterschiedlichen Tempi so manipuliert, dass mal der Eindruck entsteht, hier arbeite ein Organismus unter Angst am Rand seiner Kapazitäten, dann wieder als repräsentiere das Rollen und Rumoren aus großer Tiefe eine beinahe schon überzeitliche Sicherheit und Stabilität. „Der Puls der Erde“ heißt diese zentrale Arbeit der Soloschau, die Jeongmoon Choi als Grenzgängerin zwischen Künstlerischer Forschung, dem Minimalismus eines Fred Sandback und der club- und popkulturaffinen Kunst Olaf Nicolais vorstellt, bei dem sie Ende der 1990er Jahre nach einem abgeschlossenen Malereistudium in Seoul ein zweites, nun in Sachen Konzeptkunst, anschloss. Die Idee, zwei Frequenzen zusammenzuführen – die der körperllichen und die der tektonischen Aktivität –, ist zugleich Ausgangspunkt einer performativen Erkundung der Installation, die Jeongmoon Choi zusammen mit der Choreografin Katiouschka Kuhn und Mitglliedern der École de théâtre de physique de Strasbourg als eine Art infografisches Ballett über das Verhältnis von Mensch und Erde filmisch aufzeichnete. Das Video läuft nun in einer eigenen Box und zeigt, wie sich aus abstrakten, naturwissenschaftlichen Daten die schönsten Bühnenbilder zaubern lassen. Draußen vor dem FRAC hingegen – es ist längst spät am Abend – leuchtet Jeongmoon Chois zarte Raumzeichnung mittlerweile als ephemeres Kunstwerk in den öffentlichen Raum. Der Herzschlag ist nicht mehr zu hören. Dafür aber das sanfte Rauschen der Ill.