Corona Studios I: Maristella Witt

Maristella Witt, Juicy, 2020, Mixed Media Collage auf Leinwand, 20 x 28 cm, Courtesy the artist
Thema > Corona Studios I
25. Mai 2020
Text: Maristella Witt

Maristella Witt, * 1997, studiert Bildende Kunst in Freiburg.
maristella-witt.com

Maristella Witt, Bezahlen Sie einfach mit Ihrem Namen, 2020, Mixed Media Collage, 26,5 x 28,5 cm, Courtesy the artist
Maristella Witt, Marie Louise Mejer vom Binnengewässeramt, 2020, Mixed Media Collage, 37 x 25 cm, Courtesy the artist
Maristella Witt, Die Kunst sieht mir beim Schlafen zu, 2020, Courtesy the artist

Außer mir wohnt in meinem 11,5 m²-Zimmer ein ein Meter breites, sehr gewöhnliches Bett, welches hauptsächlich dazu da ist, mein persönliches Schlafbedürfnis zu befriedigen.
Verteilt neben dem Bett stehen noch andere, mehr oder minder essenzielle Möbeleinheiten, die jedoch keine weitere Bedeutung für diesen Beitrag beinhalten, und folglich dem Internet vorenthalten bleiben. Drumherum tummeln sich verstaubte Bücher, gesammelte Fundstücke, verblichene Bilder. Hier und da recken sich (angeblich pflegeleichte) Pflanzenschöpfe dem kleinen quadratischen Fensterchen entgegen, und grüßen die Altbaufasssaden gegenüber.

Kurz gesagt: Es ist viel los auf diesen Dielen und eigentlich ist kein Platz mehr für auch nur einen zusätzlichen Gegenstand. Tja und dann kam Corona. Erst durch die Medien, dann in kleinen Speicheltröpfchen kam es herbeigewirbelt und schließlich wirbelte er auch unmittelbar um uns herum alles Mögliche auf. Alte Werte zum Beispiel. Oder festgefahrene Routinen. Also standen wir auf einmal, jeder für sich, ohne Vorwarnung, in einem stillen Wirbelsturm aus Liegengelassenem, längst Vergessenem und mehr oder weniger bewusst Verdrängtem.

Entweder mit entrüstetem Kopfschütteln, oder aber mit zustimmendem Nicken, verfolgten wir alle in den Medien, wie viele Mitbürger diesen Wirbelsturm sahen, keine Lust auf ihn hatten, und ihm einfach die Tür vor der Nase zuschlugen. Heisst: Individuen, die verräterisch braun gebrannt und unnatürlich fröhlich die Quarantäne hauptsächlich im Freien, oder unter Freunden verbrachten.

Andere haben das Regen-Cape ausgepackt und sich diesem Wirbelsturm gestellt, was meines Erachtens nach schwierige, tiefgreifende, jedoch durchaus bereichernde Eingebungen mit sich gebracht hat.

Künstlerisch gesehen jedenfalls, drehte ich meinem eigenen Wirbelsturm auch erst mal den Rücken zu und rückte dafür meiner Partnerin auf die Pelle, bei der ich unterkam und ihr wie eine dicke Hummel den Nektar…,äh ihren wertvollen Arbeitsplatz abzapfte. Der Platz beklagte sich bald, er wolle kein Arbeitsplatz sein, er sei für unsere Beziehung bestimmt. Diese steuerte bedauernd bei, dass es ihr etwas zu eng geworden war. Also entschied ich mich dafür, die Herausforderung anzunehmen und den Wirbelsturm in mein Zimmer einziehen zu lassen. Und er hatte ordentlich Gepäck dabei. Denn mit der Hochschule sind für uns Kunststudierende auch unsere Arbeitsplätze geschlossen. Uni dicht = Atelier dicht = zwei Koffer voll Künstlerbedarf zusätzlich vor meiner Zimmertür.

Das Abenteuer, neuen Platz zu schaffen, wo keiner war, begann. Ohne Schreibtisch gestaltete sich das ganze zusätzlich schwierig. Mir blieb das Bett, nun mit zusätzlichen Anforderungen belastet, und dem undefinierten restlichen Bodenplatz. Da ich gerne kleinformatig arbeite, war das künstlerische Schaffen gut umzusetzen. Ich entschied mich für Mixed media-Collagen, deren Erschaffen mir immer wieder Freude bereitet. Mit der Heißklebepistole lasse ich eifrig einzelne Elemente hervortreten oder transparent werden, als wäre ich selbst COVID 19. Eine Parallele, die mir gefällt. Dabei nehme ich in Kauf, dass mir beim Auf-dem-Boden-Sitzen regelmäßig alle möglichen Gliedmaßen einschlafen.

Doch das wirklich Interessante passiert eigentlich erst, wenn es allmählich dunkel wird und die Nacht mit ihren langen Schattenbeinen meine Müdigkeit einläutet. Denn in der Nacht schaut mir die Kunst beim Schlafen zu. Zeitschriftenschnipsel, Kleber, Farben und Pinsel liegen um das Kopfende meines Bettes herum. Von oben betrachtet muss es aussehen, als würde ich im Material baden. Wenn ich im Bett liege, ist es still, und ich fühle mich auf eine sonderbare Weise beruhigt, in der Präsenz meiner Werke zu liegen. Sonst betrachtet man sie kritisch im geschäftigen Tageslicht, doch jetzt schweife ich gemächlich ab, wilde Träume und Unterbewusstes zieht mich zu sich, und so sehe ich auch die Kunst in einem anderen Licht. In der Spiegelung des Dachfensters über mir kann ich sie sehen, meine Kunst, wie sie lässig an der Wand lehnt und meinen Blick still erwidert. Da wird mir wird ihre Beständigkeit so richtig bewusst. Ich habe sie erschaffen, also nehme ich eine Art mütterliche Rolle ein, die Leinwand da wird mich überleben, wenn sich jemand um sie kümmert. Und auch wenn ich mich, inmitten meiner Kunst schlummernd, mich irgendwie geborgen fühle, fühle ich mich auch ein wenig beobachtet. Mike Kelley argumentierte in seinem Text zu seiner Ausstellung „The Uncanny“ 1993, dass Skulpturen Menschen Angst machen, da sie mit ihrer eigenen Sterblichkeit konfrontiert werden. Vielleicht ist da ja etwas dran, auch wenn ich weniger Angst spüre, sondern eine eigenartige Verbundenheit zu meinen Werken, die ich bis jetzt so noch nicht zuvor empfunden hatte.




Corona Studios I ist ein Projekt der Redaktion artline.org,
ermöglicht dank großzügiger Unterstützung vom Kulturamt der Stadt Freiburg