Richard Schindler, *1949, lebt und arbeitet in Freiburg.
Zuletzt waren Ausstellungen von ihm zu sehen im Kunstverein Kirchzarten und im Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft, Freiburg. Arbeiten aus seiner Werkgruppe „Kool Killer Systems“ sind zudem permanent installiert im Museum für Neue Kunst, Freiburg.
www.richard-schindler.de
[Transkriptauszug eines Interviews von Petra Bach mit Richard Schindler]
Das vollständige Interview finden Sie hier.
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Petra Bach: Ist es ein allzu großer Sprung, wenn wir unsere Aufmerksamkeit wieder auf die neue Sichtbarkeit lenken? Auf die Absperrungen der Kinderspielplätze etwa? Kindheit ist ja an sich schon eine gar nicht so alte Erfindung der Erwachsenen und, wenn sie in den Blick gerät, immer schon vergangen; verbunden mit Schmerz und mit Glück. Karl Kraus beteuerte, in seiner Kindheit hatte er auf den Feldern und Wiesen hinter dem Haus seiner Eltern ausschließlich Verkehr mit Admiralen. Während Friedrich Nietzsche fragte: Welches Kind hat nicht Anlass, um seiner Eltern Willen zu weinen.
Richard Schindler: Abgesperrte Kinderspielplätze muten erst einmal unmittelbar traurig an. Meist sind es rot-weiße Flatterbänder, die auf einfachste Art und Weise um einzelne Spielgeräte oder den ganzen Spielbereich geschlungen sind. Diese wenig aufwändige Absperrtechnik ist sehr vertraut von sonst frei zugänglichen, meist kleineren Baustellen, von denen nur in sofern Gefahr ausgeht, als sich Personen dort selbst gefährden können. Flatterbänder finden Verwendung zur Kennzeichnung von eher geringen Gefahrenstellen.
Wenn dagegen Umstände gesichert werden sollen, die durch unerlaubten Zugang beschädigt oder gar zerstört werden können, sind meist massivere Maßnahmen im Einsatz, wie zum Beispiel hohe, flexible und eigens dafür geschaffene Metallzäune. Auch bei Gefahrenlagen, die Unbefugte unmittelbar bedrohen, wie zum Beispiel Starkstromanlagen, Steilhänge oder tiefe Schächte etc. bei denen also Personen und nicht die Anlagen geschützt werden sollen, werden ebenfalls stabilere Absperrtechniken verwendet. In Ausstellungen von wertvollen oder berührungsempfindlichen Exponaten – in Installationen mithin, die nur zum Betrachten, nicht zur anderweitigen Nutzung gedacht sind, gibt es häufig zwar sichtbare, aber nicht physisch absperrende Linien-Markierungen am Fußboden.
Folgt man dieser bekannten Logik, macht die Flatterband-Absperrung der Kinderspielplätze jedenfalls klar, dass man sich dort selbst gefährden kann. Nicht, dass die Anlage als solche gefährdet ist, sondern vielmehr, dass man sich dort selbst gefährden kann. Damit herrscht aber die eigentümliche Gleichzeitigkeit sich widersprechender Aufforderungen. Es ist sichtbar, wozu die Plätze gedacht und eingerichtet sind, es gibt einen Appeal der Einrichtungsgegenstände, der Materialien und Geländeformen. Und es ist zugleich sichtbar, dass genau das verhindert ist.
In pädagogischen Verhältnissen können simultane, aber sich widersprechende Aufforderungen zu schizophrenen Pathologien bei Kindern führen. Kinder können in quälende Verzweiflung stürzen, wenn ein Verhalten verbal streng getadelt wird, aber zugleich mit wohlwollendem Lächeln gelobt wird: Ein Kind soll ein anderes nicht stoßen und schlagen, es soll sich aber auch tatkräftig durchsetzen und wehren. Mehrdeutigkeit ist unter Umständen besser auszuhalten oder einer Klärung näher zu bringen, als sich widersprechende Zweideutigkeit. Was sagt uns das?
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Corona Studios I ist ein Projekt der Redaktion artline.org,
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