Wald. Wolf. Wildnis: Mehr als Zähne und Krallen

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1. April 2020
Text: Florian F. Arnold

Wald. Wolf. Wildnis.
Museum Villa Rot, Schlossweg 2, Burgrieden.
Mittwoch bis Samstag 14.00 bis 17.00 Uhr, Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 3. Mai 2020.

www.villa-rot.de

Eine Wölfin spaziert gelassen vor einem Greenscreen über ein Filmset. Das Tier posiert für die Kamera, stößt das charakteristische Wolfsgeheul aus. Dank des grünen Hintergrunds können später beliebig Wald und Wildnis eingeblendet werden. Ein schönes, wohlgenährtes Tier, das auf die immer gleichen Posen trainiert wurde. Das Tier in diesem Video von Jonas Brinker ist keine blutrünstige Bestie, sondern eine geradezu harmlose Kreatur, kontrollierbar wie der nächste Verwandte, unser Haushund. Jahrhundertealte Ängste schwingen mit, wenn wir an den Wolf denken, dieses unverstandene Tier der Wälder, das Märchen, Legenden und auch handfeste wirtschaftliche Interessen zum Inbegriff einer wilden, unberechenbaren, negativ konnotierten Welt machten.

Die Ausstellung „Wald. Wolf. Wildnis“ im Museum Villa Rot versucht diese irrationalen Ängste zu hinterfragen. 22 Künstlerinnen und Künstler, Designerinnen und Spieleentwickler zeigen ihre Werke, in denen der Mythos Wolf im Spannungsfeld zwischen Märchen, Faszination und Angst durchleuchtet wird. Wie ambivalent das Verhältnis des Menschen zum Wald und zur Wildnis ist, nimmt schon eingangs die kleine Zusammenstellung von wolfsbezogenem Merchandising in den Blick: Da ist Craftbier mit Wolf-Logo zu entdecken und – natürlich nicht ernst gemeint – die „Wolfswurst“, garantiert bio natürlich. In der Kunsthalle der Villa Rot wird der Blick von einem gestürzten Hochsitz des Künstlers Mark Dion eingefangen. Das Zeugnis menschlicher Jagdlust zeigt Spuren der Zerstörung, Waffen und Utensilien im Innern liegen herum wie absichtlich zurückgelassen. Als Verweis auf die Fragen, wie viel Natur die Menschen zulassen wollen, ob ein Freiraum für die Natur überhaupt noch möglich ist. Ein Gedanke, der auch die Initiatorin der Ausstellung, die Malerin Gisela Krohn, antreibt. Ihre kraftvollen Malereien zeigen Wald als Ort von Zivilisationsferne. Ihre Auffassung des Waldbegriffes ist weitab von klischiert-romantischen Vorstellungen. Hier ist ein Freiraum, der den menschlichen Eingriff überwindet. Das findet sich ebenso in den Gemälden von Miriam Vlaming. „Die Zentrale“ zeigt den Wald als unkontrollierbar wucherndes Gespinst, in dem eine Hütte als Fremdkörper sich aufzulösen scheint.

Überhaupt gehen die hier gezeigten 80 Werke oft über die reine Wolf-Mensch-Beziehung hinaus und zielen immer auf die problematische Haltung des Menschen zur (ungezähmten) Natur. Irmela Maiers Wolfsköpfe und Skulpturen aus Ton und vorgefundenen Materialien hängen trophäenartig an den Wänden, wirken dabei aber so unfriedlich wie möglich. Diese lebendigen Köpfe sind keine Trophäen – hier hat die Beute den Jäger im Blick. Lionel Sabattés „Staubwolf“, eine Skulptur aus dem gesammelten Staub der Pariser Metro, führt die Gedanken ins Reich der Erfindung – dorthin, wo der Mensch Märchen rund um das Tier kreiert.

Im Märchen waren die Grenzen zwischen Mensch und Natur immer fließend, und so verschmelzen Wildnis und Zivilisation in den expressiven Tuschzeichnungen von Tanja Fender am Schnittpunkt von Fakt und Imagination. Barbara Quandt und Kiki Smith wiederum verknüpfen das Animalische mit dem Weiblichen. Dass das missverstandene, verfolgte und im 19. Jahrhundert in Deutschland ganz ausgerottete Wildtier Wolf aber auch ein hochsoziales Wesen ist, dessen Intelligenz den Klischees widerspricht, zeigen Filmarbeiten von Stephan Reusse. Er lässt die Wölfe in Aufnahmen einer Wärmebildkamera als helle, fast surreale Wesen erscheinen, die sich vor dem dunklen Waldhintergrund gewissermaßen auflösen.

Was die Ausstellung neben einer Vielfalt an künstlerischen Positionen zu Wolf und Natur anbietet, ist vor allem die Gelegenheit, die Haltung des Menschen zur Wildnis zu prüfen. Denn letztlich wird das Überleben des Menschen davon abhängen, ob er anderen Lebewesen auf diesem Planeten – nicht nur dem Wolf allein – ihren angestammten Lebensraum erhalten will und kann. So besitzt diese Schau auch einen wissenschaftlich-theoretischen Rahmen, der vielleicht beständiger ist als manche in der Ausstellung präsentierte Arbeit.