Johannes Itten: Eine Distel erleben

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7. Januar 2020
Text: Alice Galizia

Johannes Itten: Kunst als Leben.
Kunstmuseum Bern, Hodlerstr. 12, Bern.
Dienstag 10.00 bis 21.00 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 2. Februar 2020.

www.kunstmuseumbern.ch

Der Junge aus Wachseldorn bei Thun, 1888 geboren, der nach Stuttgart ging, nach Wien, Weimar, Herrliberg, Berlin, Krefeld und Amsterdam: Es ist ein Rundgang durch die Stationen aus Johannes Ittens früherem Werk – bis 1938 –, die im Kunstmuseum Bern gezeigt werden. Orte, an denen er Halt gemacht hat und die für eine jeweils andere Prägung stehen. Beengend empfindet er seine Herkunft und geht trotzdem auf in der Natur des Berner Oberlands – ein schmales Frühwerk wird hier gezeigt, das sich ganz an diesen Landschaften orientiert. Schon in der ersten Auslandsstation Stuttgart beginnt er sich vertieft mit der Farbe an sich auseinanderzusetzen, ihrem Zusammenspiel und ihren Harmonien. In diesen beiden ersten Stationen zeigt sich eine Prägung, die Itten zeitlebens nicht loslassen wird: Die Faszination für die Natur wird ihn begleiten, für ihre geometrischen Grundformen und für das Gleichgewicht, dass er darin findet. In den vielen Notizblättern, die er über die Jahre erstellt hat und die in der Ausstellung im Berner Kunstmuseum nun in einer wunderbaren Fülle gezeigt werden, beschäftigt er sich immer wieder mit Pflanzen, etwa mit der Regelmässigkeit, die ein Zweig mit beidseitig herauswachsenden Blättern aufweist.

„Ich erlebe eine Distel“, schreibt er in einem Blatt des 1921 erschienenen Almanachs „Utopia: Dokumente der Wirklichkeit“ – die schmerzhafte Begegnung mit der stachligen Pflanze als Voraussetzung dafür, sie malen zu können: So fliesst die Auseinandersetzung mit der Natur in sein Werk. „Utopia“ ist für Itten zentral: Hier präsentiert er sein erstes theoretisches Farbenmodell, die „Farbenkugel in 7 Lichtstufen und 12 Tönen“ – auch die Farbharmonien sollten ein zentraler Teil seines späteren Werks und seiner Lehre bleiben. In Wien hatte er schon 1916 begonnen, angehende Künstlerinnen und Künstler zu unterrichten, 1919 wird er von Walter Gropius als Meister an das Staatliche Bauhaus in Weimar berufen. Dort wendet sich Itten immer stärker der Mazdanan-Bewegung zu, einer esoterischen Mischreligion, die um 1890 gegründet wurde und Spiritualität mit einer kruden Rassenlehre verknüpfte. Das wird in der Berner Ausstellung zwar erwähnt, nur leider kaum darauf eingegangen, wie sich Itten zu dieser Frage positionierte oder wie sich der damals in unterschiedlichen Formen ausgeprägte Rassismus in seinem Werk und seiner Lehre niederschlug.

Überhaupt gibt die Ausstellung zwar einen interessanten Überblick, geht aber kaum auf Spezifisches ein; die einzelnen Stationen bleiben bloss angetippt. Stärker ist die Ausstellung darin, die Leitlinien in Ittens früherem Werk nachzuzeichnen. Wie er sich in Wien früh mit der Dynamik des menschlichen Körpers beschäftigt, wie kontinuierlich er das Ornamentale in der Natur hervorhebt und, natürlich, wie er, der heute als Begründer der Farbtypenlehre gilt, sich ständig mit der Farbe auseinandersetzt. Die vielen Notizblätter und Tagebücher überlassen es zudem den Besucherinnen und Besuchern, in Ittens Gedankenwelt und seine konsistenten Interessen einzutauchen. Auch ermöglichen Skizzen und Studien Einblick in die Entstehungsweise wichtiger Werke wie etwa das „Kinderbild“ (1921-22), das die Verschränkung, die Itten zwischen Schöpfung und Kunst machte, widerspiegelt.

1937 werden Werke Ittens in der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München gezeigt, 1938 muss Itten seine Schule in Krefeld schliessen. Dieses traurige Kapitel der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg wird nicht ausgespart, aber auch hier wird kaum auf Details eingegangen: Die Ausstellung kümmert sich relativ wenig um Einordnung und Kontext. Auch die Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Strömungen im frühen Bauhaus, wo die träumerische Auslegung Ittens stärker vertreten war, als es unsere heutige Wahrnehmung oft zulässt, bleibt eine Randnotiz. Positiv ausgelegt bedeutet dies aber auch eine Konzentration auf Johannes Ittens früheres Werk, dessen Entwicklung als stetige Verdichtung von Themen hier beobachtet werden kann.