Senga Nengudi. Topologien: Die Spuren des Lebens der Dinge

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10. Dezember 2019
Text: Christiane Grathwohl

Senga Nengudi: Topologien.
Städtische Galerie im Lenbachhaus, Luisenstr. 33, München.
Dienstag 10.00 bis 20.00 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 19. Januar 2019.
Zur Ausstellung ist eine Publikation erschienen:Hirmer Verlag, München 2019, 336 S., 39,80 Euro | ca. 51.90 Franken.

www.lenbachhaus.de

Mit der Ausstellung „Topologien“ gilt es eine Künstlerin zu entdecken, die in den 1960 und 70er Jahren ihr eigenständiges feministisches Werk entwickelt hat. Die afroamerikanische Künstlerin Senga Nengudi, 1943 in Chicago geboren, lebt seit 1989 in Colorado Springs. Fast vierzig Jahre lang hatte sie Ihren Lebensmittelpunkt in Los Angeles. Die Stadt war nicht nur ein Zentrum für die politischen Proteste und das Ringen um Gleichheit der schwarzen Bevölkerung, sondern auch eine Hochburg für die künstlerische afroamerikanische Avantgarde, die vom fest in weißer Hand befindlichen Kunstmarkt und den etablierten Museen weitgehend ignoriert wurde. Dort entwickelte sie ihre eigenwillige Bildsprache, die sich zwischen Performance, Installation, Tanz und Objektkunst bewegt.

1966, mit Anfang Zwanzig, verbrachte Senga Nengudi ein Jahr in Tokio. Sie war fasziniert von japanischen Theaterformen und lies sich für ihre eigene Arbeit davon anregen, ebenso von westafrikanischen Tanzriten. Als sie 1967 nach Los Angeles zurückkehrte schuf sie ihre ersten Skulpturen aus einfachen Alltagsmaterialien. Diese waren verfügbar und kosteten wenig. Doch es waren Materialien, zu denen die Künstlerin einen besonderen Zugang hatte. Alle mussten Beweglichkeit in sich tragen und „Spuren des Lebens“ – ihres Lebens. Diese Kunst war flüchtig. Wie die Objekte aus Plastik, die mit eingefärbtem Wasser gefüllt waren, die „Water Compositions“ von 1970. Sie lösten sich im Lauf der Jahre auf und wurden für die Münchner Ausstellung nachgebaut, ebenso wie die Installation „Bulimia“. Es ist ein kleiner, klaustrophobischer, aus Brettern gezimmerter Raum, der vollständig mit Zeitungsartikeln tapeziert ist, die Nengudis Mutter für sie gesammelt hat. Die Zeitungen sind zu Kugeln zusammengeknüllt, teilweise golden eingefärbt und auf dem Boden, an den Rändern und in den Ecken verteilt. Auch die im Freien realisierten „Souls“, Stoffgestalten, die Senga Nengudi 1972 durch die Straßen von New Yorks schwarzen Stadtteil Harlem flattern ließ, existierten nur eine Zeitlang. In ihnen versuchte die Künstlerin „die Seelen“ der Menschen einzufangen, denen sie in den Straßen von Harlem begegnete. Fotografien an den Ausstellungswänden und Videobänder der Performances und Aktionen, die auf kleinformatigen Bildschirmen in der Ausstellung abgespielt werden, geben einen Eindruck der damaligen Inszenierungen wieder. Diese Kunst lebt jedoch durch die Aktion, das Geschehen in der Gegenwart und den politischen und gesellschaftlichen Kontext auf den sie sich bezieht. So finden sich im Begleitprogramm Führungen, Workshops und Tanzperformances, die dafür sensibilisieren sollen.

Die Werkgruppe der „R.S.V.P.“ (Résponder s’il vous plaît/Um Antwort wird gebeten) gehört zu den eindrucksvollsten der Ausstellung. Diese Gebilde bestehen aus Nylonstrumpfhosen, die zerschnitten, bis an die Grenzen der Belastbarkeit gezogen und in den Raum hineingestreckt, teilweise mit Sand gefüllt und seltsamen Knoten und Ausbuchtungen versehen sind. Sie sind zugleich körperlich und abstrakt. Ausgehend von ihrer Erfahrung der Schwangerschaft 1975 und der extremen Dehnbarkeit der Haut, befasste sich die Künstlerin mit dem Thema des „gebrauchten“ weiblichen Körpers, so Nengudi, und seinen Veränderungen. Die Durchmischung ihrer Themen: Tanz, Körper, Weiblichkeit und Flüchtigkeit, verbinden sich in dieser Werkgruppe auf faszinierende Weise. „Permanenz war nie eine Priorität für mich, zum Leidwesen vieler“, schreibt Senga Nengudi in einem Brief an ihren Galeristen Thomas Erben. Der Versuch dieser Ausstellung ist jedoch „Permanenz“ zu schaffen und Senga Nengudis Kunst, von den Anfängen bis heute, erstmals in einem umfangreichen Katalog zu dokumentieren, mit der ehrenwerten Absicht, dass dieses Lebenswerk in seiner ganzen Flüchtigkeit nicht verloren gehen soll.