Ryan Gander: Der Wert einer Rolle Euroscheine

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8. November 2019
Text: Alice Galizia

Ryan Gander: The 500 Million Year Collaboration.
Kunsthalle Bern, Helvetiaplatz 1, Bern.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 18.00 Uhr, Samstag und Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 8. Dezember 2019.

www.kunsthalle-bern.ch

Auf den ersten Blick scheint er leer, der erste Raum in der Kunsthalle Bern, Eingang zur Ausstellung „The 500 Million Year Collaboration“ von Ryan Gander. Nur ein lautes Rascheln ist zu hören, also macht man sich auf die Suche nach dessen Ursprung. Aus einer in Höhe und Form an ein Mauseloch erinnernde Öffnung lugen zwei Zwanzig-Frankenscheine, sie bewegen sich vor und zurück und die Reibung nahe eines Mikrofons erzeugt das Rascheln, das diesen Raum erfüllt. Der so leer gar nicht ist, übrigens: Man hat nur nicht richtig geschaut beim Reinkommen. Auf der anderen Seite steht an der Wand ein Verkaufsautomat, wie er etwa an Bahnhöfen vorkommt, und der hier erst einmal wirkt, als wäre es tatsächlich ein gewöhnlicher Verkaufsautomat. Dieser aber ist schwarz gestrichen und gefüllt mit Steinen auf jeder Position, ausser oben links: Da gibt es eine Rolle Euroscheine zu kaufen, 10.000 Euro abgezählt für 9.999 Euro – und die Steine kosten gleich viel. Vielleicht haben wir es in diesem ersten Raum also mit der Bedeutung, die wir Geld zumessen, zu tun; vielleicht auch mit einer Auseinandersetzung darüber, wie Geldscheine zum Fetisch werden in einer Gesellschaft, die von Kauf geprägt ist – schlussendlich mit Wert.

Überhaupt: was hat eigentlich Wert, und was nicht? Ein nächster Raum wird von zwei Mäusen bespielt. Die eine schaut aus einem ganz ähnlichen Loch wie dem oben beschriebenen und hält eine Rede in einer hohen Mädchenstimme, sie bewegt sich ruckartig hin und her und sieht doch verunsichernd echt aus. Und die zweite? Die liegt tot hinter einem Sockel, „please do not touch“ steht auf einem Schild obendrauf; auch nach diesem Werk muss man erst einmal suchen. Und lässt einen dabei fragen, wie diese kleinen Wesen den Raum einnehmen, fragen danach, wer spricht und wo diejenigen sind, die nicht mehr sprechen können. „Take confidence in your abilities“ heisst das Werk mit der toten Maus übrigens, und spätestens da wird klar, dass in diesem Ryan Gander auch ein sympathisch böser Geist steckt. Fähigkeiten und Fehler sind sowieso von konstantem Interesse bei ihm, das zeigt auch eine Reihe einfacher Bilder im unteren Stockwerk, auf denen er mit blauer Farbe und Kalligraphiepinsel versucht hat, den Moment des Erlöschens einer Kerze festzuhalten: „Embrace your mistakes… your mistakes are the markers of your time“. Die Blätter sind zerknittert, an einigen Stellen hat die Farbe zufällige Abdrücke hinterlassen. Glatt gestrichen hängen sie nun hier, dem wütenden Zerknüllen folgt die Akzeptanz der Imperfektion, die Gander ohnehin spannender zu finden scheint.

Vor allem neuere Werke ab 2018 werden in der Einzelausstellung in der Kunsthalle gezeigt, es ist die bisher grösste institutionelle Ausstellung Ganders. Er hat dafür das ganze Haus zur Verfügung gestellt bekommen und mit eigenwilliger Raumnutzung etwas daraus gemacht – auch weil er seine Werke bewusst miteinander verbindet und in Zusammenhang bringt. Bei Material oder Technik lässt sich bei Gander keine Kontinuität feststellen, auch sind seine Themen breit gefächert. Grosse Themen: Leben und Tod, Redefreiheit und Schweigen – und er tut das so selbstverständlich, dass es einem kaum überladen vorkommt. „I left my pride outside today“ postulieren kleine Aufkleber draussen vor dem Eingang an einer Säule, Gander hat sie dahin geklebt, aber ob es stimmt? Eher stellt er sich drinnen stolz dem eigenen Schaffen, das es den Besucherinnen und Besuchern oft nicht leicht macht in der Deutung, sie auflaufen lässt in einem blossen Kitzeln. Am konkretesten manifestiert sich diese Unsicherheit im willentlichen Verdecken: Was versteckt sich unter der aus Marmorkunstharz gefertigten Decke, was im verborgenen Teil des antiken Spiegels, oder auch: Was bedeuten die auf einen anderen Spiegel projizierten, rasch wieder verschwindenden Worte? Vieles bleibt offen und damit: spannend.