Silvia Bächli, Eric Hattan: Stumme Notenlinien auf Pressspann-Grund

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14. August 2019
Text: Manuel van der Veen

Silvia Bächli: shift. Eric Hattan: entlang.
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Hans-Thoma-Str. 2-6, Karlsruhe.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 29. September 2019.
Zur Ausstellung von Silvia Bächli ist ein Katalog erschienen: Kerber Verlag, Berlin 2019, 112 S., 29 Euro | ca. 56.90 Franken.

www.kunsthalle-karlsruhe.de

 

Zeichnungen seien vor allem räumlich und in der Horizontalen zu denken, so zumindest Walter Benjamin um 1917. Silvia Bächli, die 1993 als erste Professorin an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe angetreten ist, bestätigt diesen Kommentar und verbindet beides mit dem Körper. Ein 16 Meter langer Vitrinen-Tisch definiert den Raum, die einseitige Ausrichtung der Blätter den Gang unserer Beine. Das Thema Körper scheint auch die aufgereihten Blätter zu durchlaufen. Auf jedem Papier umreißen Linien höchster Meditation verschiedene Körper, formen Buchstaben und vermessen das Format. Körper heißt bei Bächli ebenso der des Blattes und die Bewegung beim Zeichnen. Die Spannweite zwischen 1983 und 2018, zeigt gleichzeitig so etwas wie die Ordnung eines Lebens. Hier nur als temporäre Übereinkunft, der Tisch sowieso zu lang für eine Übersicht.

Der zweite von Bächli bespielte Raum widmet sich dagegen ganz dem Moment. Die Künstlerin verabschiedet das disegno im Sinn eines Entwurfs – die Konfrontation mit dem Blatt Papier ist für sie ein Prozess im Jetzt. Alle Werke stammen von ihrem London-Aufenthalt 2018/19. Linien in aufblühender Farbigkeit, die sich schlängeln oder der ganzen Akkuratesse einer formalen Konzentration folgen. Äußerst präzise Setzungen dehnen sich im Raum aus und untersuchen das Format in der Vertikalen und Horizontalen. Dabei ist der Vorgang des Zeichnens, das Machen selbst immer nachvollziehbar. Man kann sehen, wie die Menge an Farbe etwas nachlässt, wann der Pinsel stoppt und aus welcher Richtung er kommt.

Der Übergang zu Eric Hattans 18 Videoinstallationen wirkt daraufhin etwas lauter, chaotischer und füllig. Doch schnell ist klar, die Konzentration liegt auf dem Übersehenen, Kleinteiligen und Spontanen. Man könnte meinen, was bewusst vergessen wird. Hattan sucht eine Ordnung in dem, was andere wegschmeißen, ohne zu denken akkumulieren, ausrangieren oder selbstvergessen tun. Begrüßt wird man von einem Video, das eine Frau zeigt, die ein Fenster säubert. Dabei putzt sie die Oberfläche des Monitors gleich mit, der in diesem Moment zwischen Schaukasten und Schaufenster changiert. Den Blick aufs Nebensächliche gerichtet, um dann ganz locker das Medium und die Kunstgeschichte mitzudenken, zeugen von dem hellwachen Blick des Künstlers. In der begleitenden Publikation zieht Kirsten Claudia Voigt sinnige Parallelen zu traditionellen Gemälden der Sammlung, wie niederländischen Genre-Bildern. Eric Hattan verlässt dafür den meditativen Raum des häuslichen Wohlgefallens und traut sich in den Lärm der Straße, um dort wieder der Sinnlichkeit zu begegnen. So lenkt er die Aufmerksamkeit immer wieder auf das Material zurück. Der Bildschirm als dickes Möbelstück, platziert auf normierten Verladungsboxen. Selbst die Stühle in der Ausstellung scheinen selbst ausgewählt. Sowohl der Bildraum als auch der wirkliche Raum sind somit von Hattan eingerichtet worden. Man schaut nicht auf wohlsortierte einzelne Videos, sondern hat immer mindestens zwei im Sichtfeld, die man zusammen betrachtet.

Mit dem Blick von Bächlis Blättern erscheinen zu Hattan intensive formale Parallelen auf: Treibgut lotet feinfühlig die Ränder der Projektion aus und via phantom ride fährt Hattan die Horizontalen und Vertikalen eines Untergrundes ab. Beide Kunstschaffende zeigen zudem wie entscheidend die Konstellation der Werke ist. Während Bächli den Raum in Frequenzen und Intervalle aufteilt, konfrontiert Hattan Situationen, wie den linearen Verlauf des Lichts mit der Choreografie einer Chipstüte à la „American Beauty”. In ihrer Gemeinschaftsarbeit „To have a shelf life” schließlich zeigen die beiden feine Linien auf in Karlsruhe vom Sperrmüll eingesammelten Regalbrettern, um damit die Wände zu füllen. Der ganze Müll von draußen, ob Bilder oder Krach, klingt ab unter dem feinfühligen Gewicht der stummen Notenlinien auf Pressspan-Grund.