Mai-Thu Perret, Grammar and Glamour: Ausweitung der Geschlechterkampfzone

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5. August 2019
Text: Dietrich Roeschmann

Mai-Thu Perret: Grammar and Glamour.
Badischer Kunstverein, Waldstr. 3, Karlsruhe.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 19.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 15. September 2019.

www.badischer-kunstverein.de

Mai-Thu Perret hat zwei Puppen mit nach Karlsruhe gebracht, wo mit „Grammar and Glamour” derzeit eine umfassende Soloschau der 1976 geborenen Künstlerin aus Genf zu sehen ist. Der Titel passt gut, denn Perrets Kunst ist auf bemerkenswert konsequente Weise präzise und ausschweifend zugleich, reduziert und extravagant, abstrakt und erzählerisch – und dabei glamourös wie der New York Underground der späten Siebziger in Schwarz und Silber, das auch in Karlsruhe die Wände des Hauptsaals im Post-Warhol-Look schimmern lässt. Die erste Puppe, die Mai-Thu Perret hier im Entrée platziert hat, liegt im schwarzen Kampfanzug mit Maske und blau-blonder Perücke auf einem bunten Webteppich, das Maschinengewehr griffbereit, und schmökert in Monique Wittigs  Roman „Les Guérillères”. Die französische Autorin und Theoretikerin, die später nach Tuscon, Arizona, auswanderte, kämpfte bereits in den 1960er Jahren für eine Überwindung von Geschlechterzuschreibungen und ein Denken der Diversität. Ihre Romane gelten als Klassiker der lesbischen Literatur.

Dass Mai-Thu Perret ihr Mannequin mit Wittigs „Les Guérillères” nun einen utopischen Fantasy-Roman über einen kämpferischen Amazonenstaat lesen lässt, ist kein Zufall. Seit zwei Jahrzehnten verstrickt Perret wesentliche Teile ihres künstlerischen Schaffens mit dem Leben und Streben der fiktiven feministischen Kommune New Ponderosa irgendwo in der Wüste New Mexicos. Die Bewohnerinnen sind zwischen 20 und 40 Jahre alt und haben sich in die Einöde zurückgezogen, um abseits der Zivilisation eine neue Gesellschaft ohne Kapitalismus, patriarchale Strukturen und soziale Zwänge zu gründen. „Crystal Frontier” heißt die fortlaufende Werkgruppe, für die Perret im Namen der von ihr erdachten Frauenkommune reale Bilder, Keramiken, Skulpturen oder Textilarbeiten schafft, Installationen entwirft und Texte schreibt – „hypothetische Produkte”, wie die Künstlerin diese nennt. In Karlsruhe liefert ihre utopische Fiktion New Ponderosa samt ausgewählter Artefakte den Rahmen für eine Vielzahl von Erzählsträngen über unabhängige Frauenfiguren, angefangen bei den YPJ-Kämpferinnen in der kurdischen Rojava-Region in Nord-Syrien, auf die sich „Les Guérillères” beziehen, über die Künstlerinnen des Bauhauses oder des russischen Konstruktivismus, die Kunsthandwerk wie Nähen, Weben oder Töpfern aus dem häuslichen Umfeld in den Fokus der Avantgardekunst rückten, bis hin zu den als Hexen denunzierten Frauen als Trägerinnen eines Wissens, das sich der Kontrolle und den Strategien der Zurichtung des weiblichen Körpers entzieht.

Die raumgreifende Installation „Superpotent”, die Perret in Karlsruhe vor silbernen Wänden arrangiert hat, wirkt auf den ersten Blick wie das Setting für ein düsteres Gothic Drama: In der Mitte des Saales steht wie verkohlt ein riesiger, schwarzer Baumstumpf, flankiert von einer Rampe und einem Kegel ohne Spitze, wie er in manchen buddhistischen Tempelgärten zur Mondbeobachtung zu finden ist. An den Wänden hängen eine Textilarbeit mit geometrisch-abstrakten Planetenkonstellationen sowie acht Tiermasken aus Keramik, die auf den angeblichen Flirt der Hexen mit dem Animalischen anspielen. Es ist eine rätselhafte Ordnung der Dinge, die Perret hier in engem Dialog mit esoterischen Künstlerinnen der Moderne wie Hilma Af Klint oder Emma Kunz entwirft, gespickt mit Referenzen an Ikonen wie die avantgardistische Modedesignerin Elsa Schiaparelli, deren legendäres Skelettkleid sie einer chromglänzenden zweiten Puppe mit den Zügen ihrer Künstlerfreundin Tamara Barnett-Herrin übergeworfen hat – oder an Louise Bourgeois, der sie hier mit der von der Decke hängenden dreiteiligen Bronzeskulptur „Eventail des caresses” aus Herz, Lunge und Uterus ihre Ehre erweist. Zentnerschwer, aber von schwebender Leichtigkeit, modellhaft und doch aufgeladen mit großer Intimität stehen sie exemplarisch für Perrets ebenso sperrige wie inspirierende Auseinandersetzung mit Fragen zum Verhältnis von Wissen, Macht, Geschichte und weiblicher Selbstbestimmung.