Marcel Duchamp, 100 Fragen. 100 Antworten

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14. Dezember 2018
Text: Birgit Wiesenhütter

Marcel Duchamp, 100 Fragen. 100 Antworten.
Staatsgalerie Stuttgart, Konrad-Adenauer-Str. 30-32, Stuttgart.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 10. März 2019.
www.staatsgalerie.de

Das Herz Duchamps schlägt in Stuttgart. Die Arbeit „Portrait of Marcel Duchamp“ des irischen Künstlers Brian O’Doherty (*1928) hat dessen Herzschlag für für uns festgehalten und zeigt damit, dass Marcel Duchamp (1887-1968) und seine Ideen in der Kunst unserer Gegenwart weiterleben. „Duchamp. 100 Fragen. 100 Antworten“ in der Staatsgalerie Stuttgart  führt das auf eindrückliche Weise vor. Neben ikonischen Werken des französischen Künstlers wie dem Readymade „Flaschentrockner“ oder der Mona Lisa mit und ohne Bart wird in der Schau das Archiv des Schweizer Künstlers und Mitbegründers der Zürcher F+F Schule für Gestaltung Serge Stauffer (1929-1989) gezeigt. In jahrzehntelanger begeisterter Beschäftigung mit dem Werk Duchamps hat dieser alles gesammelt und übersetzt, was er zu Duchamp finden konnte, und es auf Karteikarten geordnet. Höhepunkt seiner bemerkenswerten Forschertätigkeit sind die 100 Fragen, die er 1960 schriftlich an Duchamp stellte und beantwortet bekam. Tatsächlich muss man die Arbeit Stauffers selbst als künstlerische Forschung und Teil seines eigenen Schaffens ansehen.

Ausgangspunkt von Stauffers Interesse am Werk Duchamps war dessen humorvoller und rätselhafter Umgang mit Sprache. „La Mariée mis à nu par ses cèlibataires, même“ (Die Braut, von ihren Junggesellen entblößt, sogar) ist der Titel des sogenannten Großen Glases, eines von Duchamps Hauptwerken. Eine Replik ist in Stuttgart zu sehen, das Original ging 1927 zu Bruch. Dieses Werk beendete Duchamp nach mehrjähriger Tätigkeit 1923 als „endgültig unvollendet“. Braut und Junggesellen wirken wie Maschinen, die in einem Mechanismus miteinander verbunden scheinen. Duchamps Beschäftigung mit technischen Zeichnungen, Physik und der vierten Dimension spielen in sein komplexes Werk hinein. Motive des Großen Glases wie die Schokoladenmühle und die trichterförmigen Siebe finden sich auch auf Zeichnungen im Vorfeld des Großen Glases. 1934 erschien die „Grüne Schachtel“. In ihr hatte Duchamp 93 Gedanken und Ideen zum Großen Glas und zum Readymade gesammelt.

Wem das zu viel zu lesen ist, kann stattdessen der Stimme aus der Sounddusche lauschen, die eine Auswahl der Ideenschnipsel vorliest, wie beispielsweise „einen Rembrandt als Bügelbrett verwenden“ ‒ ein Angriff auf die „retinale“ Kunst, wie Duchamp sie nannte, eine Kunst, die vor allem die Netzhaut, also das Auge anspricht. Diese Art von Kunst interessierte ihn nicht mehr. Sein letztes Gemälde war 1912 „Akt, die Treppe hinab steigend“. Sein weiteres Werk stellt einen Wendepunkt in der Kunstgeschichte dar. Was dann zählte, war das Experiment und die Idee.

Wer sich für Duchamps Werk und sein Denken interessiert, der bekommt in der Staatsgalerie viel geboten. Nach Jahren der Aufarbeitung bringt Kuratorin Susanne M. Kaufmann Bestand und Leihgaben auf unkonventionelle Weise zusammen. Mitbeteiligt ist der Konzeptkünstler Joseph Kosuth, der durch Duchamp wesentlich beeinflusst wurde. Er hat 100 Karten gestaltet, die mit Fragen und Antworten zu Duchamp und Stauffer durch die Ausstellung leiten.