Nancy Wälti:

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12. Juni 2017
Text: Julia Hochstenbach

Nancy Wälti.
Kunstmuseum Solothurn, Werkhofstr. 30, Solothurn.
Dienstag bis Freitag 11.00 bis 17.00 Uhr, Samstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Bis 13. August 2017.
www.kunstmuseum-so.ch

Nahezu leer wirkt der Raum, betritt man die Ausstellung von Nancy Wälti (*1977) im Kunstmuseum Solothurn: weiß dominierte Zeichnungen, sparsam verstreute, zurückhaltende Skulpturen; außer einer Art Rundmauer aus quietschgelben Putzschwämmen ist fast nichts zu sehen. Dieses „Fast nichts“, charakteris­tisch für Wältis Werk, birgt etwas Wunderbares. Das Sich-Zurückziehen, beinahe ins Unsichtbare, Unsagbare, gibt der Kostbarkeit jedes einzelnen Ereignisses Raum – der wundersamen, liebenden oder erzwungenen Biegung zweier Wandnägel zueinander hin oder der Kraft der Farbe, wenn sie das Weiße bricht. Die Reduktion aufs Minimale lockt liebevolle Aufmerksamkeit hervor, Genauigkeit des Schauens, ein Warten auf das, was das Werk offenbart. So liegt nahe, dass die zur Steinbildhauerin ausgebildete Künstlerin im Geiste Joseph Beuys‘ Spiele treibt mit alltäglichen Dingen, dass sie Sehgewohnheiten bricht und als solche entlarvt. Gebrauchsgegenstände verlieren ihre Funktion und gehen in ein anderes Wesen über. Sie werden zu Hochstaplern wie die Stuckdekor imitierenden Klebeetiketten, sie führen sich selbst ad absurdum wie die Waage, deren Querstange zu zwei Quadern eingeschmolzen wurde, die nun selbst als Gewichte in den Waagschalen liegen. Sie werden zu Charakteren, tragen Verletzungen davon. Gipserne Abflussstöpsel starren als blinde, schwarz blutende Stielaugen aus der Wand; Holzklüpfel, mit denen der Bildhauer den Meißel schlägt, wurden selbst behauen und ausgehöhlt und stehen jetzt wie schrullige Gogolsche Figuren traulich beisammen – beschädigt, gebeutelt, und doch nicht unterzukriegen. Diese Wendung ins Anthropomorphe, in Assoziationen menschlicher Sehnsüchte und Perversionen ist ebenso typisch für Wältis Werke wie Momente des Sehens und des Blickwechsels, des Spiegelns und des Zitats, die die Dinge spielerisch verkomplizieren. So ist die wesentliche Bewegung der Werke die der Verwandlung, die Vieldeutigkeit und Offenheit hervortreiben lässt.

Angesichts der Spiegelungen, der überraschenden Umdeutungen kommt mitunter Skepsis auf, ob nicht manches an der Oberfläche des Aha-Effekts steckenbleibt. Doch die meisten Werke erweisen auch bei längerer Betrachtung ihr Eigenleben, immer wieder fein schillernd zwischen Schein und Sein, Gewohntem und Abgründigem, immer wieder auch beinahe aphoristisch aus dem Nichts hervortretend. So wie in „can-non“, einem Doppel aus zwei gerahmten Bildern mit je einem Graphitfleck auf weißem Grund, wie zwei schielende Augen, wie zwei durch die Rahmen-Kluft getrennte Liebende, zwei flüsternde Verschwörer oder wie zwei zarte Tupfen auf einer weißen Fläche. In einer einzigen zeichnerischen Geste sammeln sich Slapstick und Melancholie, Vermenschlichung und Abstraktion.