Beuys: Die permanente Partizipation

Thema
2. Juni 2017
Text: Mathias Heybrock

Beuys, D, 2017, Regie: Andres Veiel.
Derzeit im Kino, ab November 2017 auf DVDund als Stream.

Beuys erklären – das tut Andreas Veiel sich nicht an. Lieber lässt der 57-jährige Regisseur das Archiv zur Wort kommen: 400 Stunden Filmmaterial, 300 Stunden Tonmaterial und 20 000 Fotos hat er für den ersten großen Kinodokumentarfilm über Joseph Beuys gesichtet. Nur wenige Momente darin bestehen aus Interviews, die Veiel selbst mit alten Weggefährten des 1986 gestorbenen Aktionskünstlers, Kunst- und Gesellschaftstheoretikers geführt hat.

Und warum auch nicht: Die dichte, ausgeklügelte Collage, die in 18-monatiger Arbeit aus diesem Material entstand, ist ausgesprochen eloquent! Sie präsentiert den Menschen Beuys, seine rheinische Frohnatur. Sie offenbart, dass das Energiebündel mit oft grinsend gebleckten Zähnen auch depressive, dunkle Phasen kannte, die aus Kindheit und Kriegserfahrung rührten – als Pilot im Zweiten Weltkrieg wurde Beuys abgeschossen.

Die wichtigsten Stationen der Karriere von Beuys führt die Collage selbstverständlich ebenfalls vor; seine zentralen Arbeiten und Gedanken. Beuys entwickelt letztere entweder selbst, in TV-Interviews. Oder sie kommen in den Debatten und Diskussionsrunden zum Ausdruck, die zuweilen sehr hitzig über seine Kunst und seinen Kunstbegriff geführt wurden.

Dass der Regisseur Veiel auf jeden Kommentar verzichtet, heißt auch, dass er selbst keine Einordnung vornimmt. Natürlich hat er entschieden, was er aus dem Archiv holt und was nicht. Aber er schreibt nicht vor, welchen Stellenwert dieses Material nun für unsere (künstlerische) Gegenwart haben soll. Das bleibt dem Film-Publikum überlassen – eine sehr respektvolle Art, mit den Zuschauern umzugehen.

So erlaubt „Beuys” es jeder Zuschauerin, jedem Zuschauer, ein eigenes Fazit zu ziehen. Meines lautet: Viele Werke und Aktionen von Beuys, etwa „I Like America And America Likes Me” (1974) oder „The Pack” (1969) haben noch heute Kraft, Witz, Schärfe – selbst dann, wenn man etwa „The Pack” nicht aktuell aufladen und zu den Migrations- und Fluchtwellen unserer Zeit in Bezug setzen will.

Beuys’ vollkommen entgrenzter – wenn nicht gar totalitärer? – Kunstbegriff scheint sogar geradezu für eine Gegenwart gemacht zu sein, in der zwar nicht Social Art, aber doch Social Media die permanente Partizipation aller am öffentlichen Leben möglich macht oder machen soll. Solche „Liquid Democracy” müssen wir freilich selbst sinnvoll gestalten. Beuys, das zeigt der Film auch, proklamiert seine sozialgesellschaftlichen Vorstellungen so phrasenhaft, das man sie als konkrete Anleitung nicht gebrauchen kann.