Claudia Comte, 10 Rooms, 10 Walls, 1059 m²: Cartoons über die Verwandlung von Fläche in Raum

Review > Luzern > Kunstmuseum Luzern
10. Mai 2017
Text: Dietrich Roeschmann

Claudia Comte: 10 Rooms, 40 Walls, 1059 m2.
Kunstmuseum Luzern, Europaplatz 1, Luzern.
Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 11.00 bis 20.00 Uhr.
Bis 18. Juni 2017.
www.kunstmuseumluzern.ch
Zur Ausstellung ist ein Künstlerbuch erschienen: 40 x 40, Edition Patrick Frey, Zürich 2017, 416 S., 83 Euro | 83 Franken.

Hoch über dem See spiegeln sich die Berge in der gläsernen Architektur des Kunstmuseum Luzern. Steht das Licht gut, wirkt das ein bisschen so, als schwebte ein Hologramm im realen Raum des Foyers, von dem zurzeit eine Tür in ein weiteres Paralleluniversum führt, das man kaum für möglich hält. Es ist die Welt der Claudia Comte. Bekannt wurde die 1983 im westschweizerischen Grancy geborene Künstlerin mit schön gearbeiteten, ebenso gediegenen wie lustigen Holzskulpturen, die in unverkennbarem Arp- oder Brancusi-Look die Wiedergeburt der klassischen Moderne aus dem Geist des Comics feierten. Dass ihre bevorzugten Werkzeuge bis heute Kettensäge und Flammenwerfer sind, dürfte nicht wenig zu ihrem Image als toughe Handwerkerin beigetragen haben. Daneben hat Comte seit jeher ein Faible für grafische Raster, repetitive Muster und strenge Systeme, deren Ordnungen sie gerne mit schrägem Humor und einem feinen Gespür für die Pointe der ungewöhnlichen Referenz aus den Angeln hebt. Die Cartoonfigur „Road Runner” kann da schon mal zum Souffleur konkreter Malerei mutieren und ein Donut zum Modell der Unendlichkeit – auch der unendlichen Wiederholung in Hand- und Maschinenarbeit, in Marmor, Holz oder Polystyrol.  

Im Kunstmuseum Luzern hat die mittlerweile in Berlin lebende Bildhauerin jetzt ihre bislang größte Einzelausstellung eingerichtet. Der Titel „10 Rooms, 40 Walls, 1059 m2” ist Programm. Er definiert die Fläche und das Volumen, das Comte mit einem schwindelerregenden Parcours aus 40 Wandbildern und zehn Rauminstallationen bespielt, die paradoxerweise ausgerechnet in ihrer Dichte und streckenweise geradezu lachhaften Überproportionalität eine ungeahnte Leichtigkeit entfalten. Gleich im ersten und größten Saal der Ausstellung laden drei knochenförmige Holzobjekte zum Sitzen ein. An langen Seilen von der Decke hängend, schwingen sie als gigantische Schaukeln im Raum und lassen jeden, der sich darauf niederlässt, zum Teil des Settings werden, das Comte hier als eine Art Bildlexikon der visuellen Darstellung von Bewegung an den Wänden entfaltet. Psychedelische Zick-Zack-Muster, überdeckt von acht grellen Cocktail Paintings mit ineinander diffundierenden Farben, flirren hier neben einem schwarz-weißen Punktraster an der Stirnwand, auf dem ein Op-Art-Gemälde in regenbogenartigen Farbverläufen prangt wie eine Zielscheibe. An der gegenüberliegenden Wand wiederum springen knapp ein Dutzend Tondos unterschiedlicher Größe über monumentale Notenlinien, auf denen je ein in der 360-Grad-Umdrehung verblassender Pinselstrich zu sehen ist. Man kann diese Gemälde als Embleme der Dynamik lesen, mit der Comte die Räume in Unruhe versetzt. Das beständige Flackern der gemusterten, gerasterten oder anderweitig überreizten Oberflächen ist dabei nur eine von mehreren Quellen. Ein weiteres Beschleunigungsmoment liefern die vergrößerten Speedlines oder Comic-Lautmalereien, die Comte zwischen ihren Skulpturen und Gemälden verteilt wie Regieanweisungen. Sie lassen ihre Arbeiten zugleich als Protagonisten erscheinen in einem absurden Cartoon-Drama über die Transformation von Fläche in Raum und umgekehrt. An die Wand gemalte Gartenzäune mit stilisierter Holzmaserung hegen hier immer wieder imaginäre Wüstenlandschaften ein, in denen aus ganzen Eichenstämmen gesägte Kakteen lauern, die auf Namen hören wie „Xavier”, „Aurelien”, „Lucy” oder „Corina”. Dass Comte in jüngster Zeit zunehmend die Synthese von Formen, Materialien und künstlerischen Prozessen sucht, wird in einem der letzten Räume deutlich. Auf mit dem Flammenwerfer geschwärzten und mit der Kettensäge linierten Sperrholzsockeln präsentiert sie hier supercleane 3-D-Prints ihrer Donut- und Hasenohren-Holzskulpturen und verstrickt diese mit weiß lackierten Readymades aus der Luftfahrtindustrie in einen bizarren Dialog über die Poesie einer Weltsicht, die in allem und jedem Formen aus der Tier- und Pflanzenwelt erkennen will.