Sound in Motion: Rodney Graham.
Kunstmuseum Stuttgart
Kleiner Schlosslatz 2, Stuttgart.
Dienstag, Donnerstag, Samstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch und Freitag 10.00 bis 21.00 Uhr.
Bis 15. Januar 2017.
Tschinderassa Bumm: so klingt das, wenn Rodney Graham (*1949) Kartoffeln auf einen Gong wirft. Das heißt: manchmal schmeißt er auch daneben. Das Ganze findet in einer Atmosphäre sakraler Ernsthaftigkeit statt: der Künstler sitzt wie ein Schamane auf einem Stuhl, neben ihm der Kartoffelhaufen. In angemessenem Abstand wird die kindische Wurf-Übung wiederholt, bei Treffern lauscht man dem Scheppern des Gongs. Gedreht ist das Video 2006, in grobkörnigem Schwarzweiß und mit Wackelkamera. Filmtechnik und das gesamte Ambiente wollen die Aura der 1960er Jahre erzeugen, sogar die Kleidung des spärlich vorhandenen Publikums ist stilecht. Was das soll? Nun, der berühmte Nick Mason, Schlagwerker der psychedelisch angefixten Kultband „Pink Floyd“, hat in den 60ern offenbar mal bei einer Jamsession Gemüse auf seine Gongs geworfen und Rodney Graham stellt das nach. Besonders tiefgründig ist das nicht, aber lustig. Und es passt perfekt in die Reihe „Sound in Motion“ des Stuttgarter Kunstmuseums, die mit der Rodney-Graham-Schau nun zu Ende geht.
Kuratorin Ulrike Groos hat ihr Haus im vergangenen Jahr immer wieder mit Live-Jazzkonzerten und Musikvideos bespielt – am schönsten vielleicht mit der großen Candice-Breitz-Retrospektive. Aber auch die in einem riesigen Halbrund gezeigte Fünf-Kanal-Video-Sound-Installation von Ann-Sofi Sidén und Jonathan Bepler ‒ über das Leben vor und hinter den Kulissen des Stockholmer Royal Dramatic Theatre – bleibt in Erinnerung. Ebenso wie die Hiphop-Soundskulptur, die Carsten Nicolai als Nacht-Ereignis auf den hinteren Schlossplatz brachte. Dagegen wirkt Rodney Grahams sentimentalisches Ramblin‘ Man-Video fast ein wenig bieder. Graham reitet als eine Art Marlboro-Cowboy in einem Breitwand-Video durch den amerikanischen Westen, durch Berge und Flüsse und stoppt unter einem Baum, um ein Lied von der Freiheit in der Natur zu schmalzen. Dann geht es den gleichen Weg zurück, mit exakt den gleichen Kameraeinstellungen und denselben Sounds.
In Rodney Grahams zitat- und anspielungsreichem Werk gibt es ein Element, das alle Videos verbindet – und das ist der Gebrauch musikalischer Mittel. Graham gehört, zusammen mit Stan Douglas und dem Fotografen Jeff Wall, zur „Vancouver School“, die sich von der Appropriation leiten lässt. Obgleich Graham auch malt und Skulpturen herstellt, selber komponiert, fotografiert und Dinge installiert, ist das Video seine schärfste Waffe. Und sein stärkstes Stilmittel ist die Wiederholung, die Endlosschleife; fast immer tritt er selber als Schauspieler in Aktion. Wenn nicht, setzt er zwei Schauspielern Graham-Masken auf – wie in „City Self/ Country Self“: ein dandyhaft gekleideter Stadtbewohner des 19. Jahrhunderts tritt einem Landmann in den Hintern, immer wieder. Vorbild sind Chaplins sozialkritische Slapstick-Szenen. Die wichtigste Arbeit der Stuttgarter Ausstellung geht noch einen Schritt weiter. Ein von Graham gespielter Häftling wird von einem Polizisten in Handschellen in ein Theater geführt und so ans Klavier gesetzt. Der Gefesselte, in seinen Handbewegungen extrem Eingeschränkte beginnt zu spielen. Die fragmentierten und dissonanten Sounds spiegeln natürlich die verzweifelte Lage des völlig lakonisch agierenden Pianisten. Zudem sind die Saiten des Klaviers mit allerlei Materialien John-Cage-artig manipuliert. Die Kleidung der Akteure ähnelt KZ- und SS-Uniformen, das Setting aber geht auf den Surrealisten André Breton zurück. In Handschellen Klavier spielen: es gibt kein ironischeres Bild für die Lage des Künstlers in der Diktatur.