Francis Bacon: Unsichtbare Räume.
Staatsgalerie Stuttgart, Konrad-Adenauer-Str. 30-32, Stuttgart.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Donnerstag 10.00 bis 20.00 Uhr. Bis 8. Januar 2017.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Prestel Verlag, München 2016, 256 S., 39,95 Euro | ca. 52 Franken.
www.staatsgalerie.de
In der Rezeption von Francis Bacon (1909-1992) ist das Werk nicht das eine, die Persönlichkeit nicht das andere. Auch die Stuttgarter Ausstellung, die den Blick auf „unsichtbare Räume“, mithin auf die Konstruktion von Bacons Bildern lenkt, kommt nicht ohne die Folie seiner Persönlichkeit aus. Wer an Bacon denkt, hat die Aufnahmen seines Ateliers in South Kensington vor Augen: ein nicht einmal halbherzig gebändigtes Chaos. Es sieht immer ein bisschen aus als schaute man in den Orkus. Auch die „The South Bank Show”-TV-Produktion über Bacon von 1985, die jetzt in der Staatsgalerie Stuttgart zu sehen ist, erzählt von Alkohol- und Spielsucht, von Liebhabern aus dem Kleinkriminellenmilieu, von Bars in Soho, als der Londoner Stadtteil noch wirklich berüchtigt war.
Bacon, der Verse von Aischylos auswendig zitieren konnte, war ein Autodidakt und in seiner Zeit das Gegenbild zu allem Bürgerlichen. Die Ausstellung „Francis Bacon. Unsichtbare Räume“ greift einen einzelnen Aspekt heraus und so gelingt es ihr, dem Werk, das zu den bekanntesten des 20. Jahrhunderts gezählt wird, eine neue Chance zu geben. Die Schau, die eine Kooperation mit der Tate Liverpool ist, besteht aus etwa 40 großformatigen Bildern und weist einige hochkarätige Leihgaben auf. Eine ganze Serie ist seinen Papstdarstellungen gewidmet und überhaupt schreienden Figuren, die mit ihren aufgerissenen Mündern zu Sinnbildern der Gewalt des 20. Jahrhunderts geworden sind.
Raum klingt nach etwas, an das man sich halten kann, nach Wänden, derer man sich versichern kann, die einem Halt geben, die im schlimmsten Fall einengen können. Anders bei Bacon. Er platziert seine Figuren oder seinen „Wasserstrahl“ 1988 in einen Raum, der einen ockerfarbenen Boden zu haben scheint und der in der Tiefe in sich überschneidende Flächen übergeht. Stangen und Quader sind zu sehen und ein roter Pfeil, der vermutlich auf die Quelle dieses immensen Wasserstrahls hinweist, der sich wie eine Eruption über die Leinwand zu ergießen scheint. 1984 entstehen die „Drei Studien für ein Porträt von John Edwards“. Der Mann sitzt auf einer Art Drehstuhl, hinter ihm ist jeweils ein viereckiger schwarzer Rahmen zu erkennen. Auf dem linken der Bilder ist die verwaschen wirkende Gestalt von einem Halbkreis umfangen, der durch den Umriss eines prismatischen Körpers ergänzt wird. Bacons Räume erinnern an Bühnen, an Ateliers, in denen immer schon Wirklichkeit nachgestellt wurde und an Räume, in die Bewegungen eingeschrieben sind.
Wie viele andere Künstler auch war Francis Bacon von den fotografischen Studien Eadweard Muybridges fasziniert. In der Staatsgalerie sind Reproduktionen aus Bacons Atelier ausgestellt. Und sein Bild mit dem Titel „Nach Muybridge – Frau eine Schale Wasser leerend und gelähmtes Kind auf den vieren“ aus dem Jahr 1965. Im Fernsehinterview von 1985 ist dieses Kind mit dem missgebildeten Rücken allein zu sehen, wie es sich lachend vorwärtsbewegt. In Bacons Bild sind die Frau und das Kind auf einem Stahlring abgebildet, der auf mehreren Füßen steht. Die roten, violetten und orangefarbenen Farbflächen dahinter lassen fast an eine Manege denken. Während Muybridge es mittels der Kamera gelang, Sequenzen in Einzelaufnahmen aufzulösen, überblendete Bacon die Bewegungsfolgen in seinen Figuren. Francis Bacon hatte Vorbilder und Vorläufer; Rembrandt und Soutine, was seine Faszination für rohes Fleisch anging, Velázquez, was seine Auseinandersetzung mit den Papstporträts angeht, Eisenstein als Regisseur von „Panzerkreuzer Potemkin“, was den Ausdruck des Schreis angeht. Das mindert nicht die Bedeutung des Werkes, nimmt ihm aber einiges von seinem dunklen Mythos und ermöglicht eine erneute Betrachtung.