William Kentridge/Albrecht Dürer, Double Vision: Im Schwarz-Weiß liegt die Freiheit

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27. Oktober 2016
Text: Chris Gerbing

William Kentridge / Albrecht Dürer: Double Vision.
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Hans-Thoma-Str. 2-6, Karlsruhe.
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 8. Januar 2017.
www.kunsthalle-karlsruhe.de

William Kentridge: More Sweetly Play The Dance.
ZKM, Lorenzstr. 19, Karlsruhe.
Mittwoch bis Freitag 10.00 bis 18.00 Uhr, Samstag und Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr.
Bis 8. Januar 2017.
www.zkm.de

Das Gerät ist unscheinbar, seine Funktionsweise hat es in sich: Das Stereoskop ist eine Art Brille mit vorgespannten Fotos, die in annähernd gleichem Abstand aufgenommen wurden, wie die Distanz der menschlichen Augen. Weil unser Gehirn die Bildinformationen beider Augen zu einem Gesamtbild zusammensetzt, können wir räumlich sehen. Es sind Doppelbilder, „Double Vision“ wie der Ausstellungstitel lautet, die uns dieses dreidimensionale Raumerlebnis ermöglichen. Der südafrikanische Künstler William Kentridge (*1955) experimentiert mit Seh-Apparaten, um auf unterschiedliche Sichtweisen aufmerksam zu machen. Aufgewachsen während der Apartheid, war eine seiner prägenden Erfahrungen, wenn sich sein Vater als Anwalt bereit machte, schwarze Angeklagte zu verteidigen. „Remember the Treason Trial“ heißt ein wandgroßer Holzschnitt, mit dem er auf den für die südafrikanische Geschichte so wichtigen Landesverratsprozess Ende der 1950er Jahre hinweist, der das Ende der Apartheid einläutete. Allerdings verstand der kleine William, wenn sein Vater ihm gegenüber äußerte, er müsse zum Treason Trial statt dessen „Tree Son Tile“ und verband dies mit dem Baum bei den Fliesen im hauseigenen Garten – was ihn bis heute das „Lob der Fehlübersetzung“ singen lässt.

Der Holzschnitt verbindet Kentridge mit Albrecht Dürer über 500 Jahre hinweg. Und so, wie Kentridge in der Beschränkung auf das Schwarz-Weiß im Holzschnitt seine (politisch motivierte) Freiheit findet, erreichte Dürer in dieser Drucktechnik in seiner Zeit unvergleichliche Meisterschaft. Die präsentierten Dürer-Arbeiten sind überwältigend – vor allem die monumentale „Ehrenpforte Kaiser Maximilians I.“. Es ist der größte Holzschnitt, der bis 1945 gefertigt wurde. Er besteht aus fast 200 Einzelblättern, die erstmals in Karlsruhe zu sehen sind und die Virtuosität Dürers aufs Trefflichste veranschaulichen. Wüsste man es nicht besser, würde man eher auf einen Kupferstich tippen, denn die feinen Linien, die detailreichen Darstellungen und die ornamentalen Schwünge der Fraktur-Schrift verbindet der Kenner eher damit als mit dem – scheinbar – kruden Holzschnitt. Wo es Kentridge um die politisch-sozialkritische Komponente unseres Sehens geht, ist es bei Dürer die imperialistische Erinnerungskultur Maximilians, der sich mit diesem Holzschnitt in eine Linie mit den Triumphbögen der Cäsaren setzte. Die wiederum im Gegensatz zum vervielfältigbaren Holzschnitt den unbestreitbaren Nachteil besaßen, immobil zu sein. Dürer breitet darüber hinaus in seinen Holzschnitten die Bühne des Lebens aus. Das wird insbesondere in seinem „Marienleben“ deutlich, das zu den ältesten Beständen der traditionsreichen Karlsruher Kunsthalle gehört und seit Mitte des 17. Jahrhunderts dort nachgewiesen ist.

„Evidenz ausstellen“ ist das DFG-Projekt betitelt, das an der FU Berlin angesiedelt ist, wo die Ausstellung gemeinsam mit dem Kupferstichkabinett Berlin konzipiert wurde. Von dort wurde sie – ein Novum in der Geschichte der Karlsruher Kunsthalle – übernommen und auf die historischen Räumlichkeiten und den Ungers-Anbau adaptiert. Subkutan setzt sich die Ausstellung mit der Frage auseinander, wie wir sehen, wie daraus Geschichten erwachsen und wie diese im Museum erzählt werden können. Evident ist: Es handelt sich um eine bemerkenswerte Ausstellung, die definitiv nicht nur wegen des Rhinozeros‘ – Dürers bekanntestem Holzschnitt, den Kentridge modifiziert und damit das Nashorn domestiziert – wert ist, besucht zu werden. Im Subraum des ZKM wird zudem in den Abendstunden Kentridges Film „More sweetly play the dance“ gezeigt, bei dem schattenhafte Gestalten, Lastenträger, aber auch fahnenschwingende Arbeiter und Skelette eine Art modernen Totentanz aufführen. Die Zeitläufte thematisiert Kentridge damit ebenso wie die weltweiten Flüchtlingsströme, sie sind bei Dürer Hintergrundfolie der herrschaftlichen und der christologischen Zyklen.